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Raimund Kalinowski

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Haftung trotz „Fremdverschulden“?

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Am 13.09.2012 hat der Oberste Gerichtshof in Österreich unter dem Az. 6Ob215/11b ein Urteil ‑ zu einer geborstenen Mineralwasserflasche ‑ gefällt, dessen Auswirkungen erheblich sein können.

Insbesondere die Feststellung des Obersten Gerichtshofes “Dass (offensichtlich) auch andere Hersteller von Glasflaschen mit kohlensäurehaltigem Inhalt keine Warnungen anbringen, vermag die Beklagten nicht zu entlasten; auf Branchenüblichkeit kommt es nämlich nicht an, weil die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen durchaus hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben können.“, bedeutet, dass die Aufklärungspflichten der Abfüller zu überdenken sind und man erwägen sollte Warninformationen auf das Etikett zu drucken. Vorreiter in dieser Angelegenheit können einer erheblichen öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein.

Wegen der Uniformität der Rechtslage innerhalb der EU wird dieses Urteil auch Auswirkungen auf Deutschland haben.

Der Fall:

Die Mutter Frau S. kommt am Morgen des 24.06.09 gegen 9:10 Uhr vom Einkaufen nach Hause. Ihr 4-jähriger Sohn sagt ihr, dass er Durst habe. Er holt sich daraufhin eine Mineralwasserflasche aus einem Schrank in der Küche. Die Flasche war nicht mehr ganz voll, da aus ihr bereits am Vortag getrunken worden war. Frau S. sagt ihrem Sohn, sie würde nur kurz die Einkäufe aus dem Auto räumen und ihm dann helfen die Flasche zu öffnen. Der Sohn geht mit der fast vollen Flasche in den angrenzenden Flur. Kurze Zeit später hört Frau S. einen lauten Knall und ihren Sohn aufschreien. Sie hastet in den Flur und findet ihren Sohn heftig weinend vor dem Schuhschrank stehend. Auf dem Schuhschrank und neben dem Schuhschrank befinden sich Splitter der offensichtlich geborstenen Mineralwasserflasche. Das rechte Auge des Sohnes blutet.

Frau S. fährt ihren Sohn direkt in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses, wo ihr Sohn ab 9:50 Uhr behandelt wird. Der 4-jährige Sohn hat weiterhin starke Schmerzen. In der darauffolgenden Nacht fängt das rechte Auge des Sohnes erneut an zu bluten. Am nächsten Morgen bringen die Eltern deshalb ihren Sohn zu einem örtlichen Augenarzt, der sofort die Untersuchung in der nächstgelegenen Augenklinik veranlasst. Durch eine CT werden 2 Glassplitter innerhalb des Augapfels festgestellt, die durch Operationen am 25.06. und 30.06.09 entfernt werden. Die verbleibende Sehleistung auf dem rechten Auge des 4-Jährigen wird mit 1% beziffert.

Die Eltern des geschädigten Kindes und die Haftpflichtversicherung des Abfüllers verständigten sich darauf, dass sie eine außergerichtliche Einigung bevorzugen würden und einigen sich auf einen anerkannten Sachverständigen aus dem 900 km entfernten Ostfriesland.

Die folgende Sachlage wurde danach von beiden Parteien als unstrittig erklärt:

  • die Flasche war bereits geöffnet gewesen
  • die Flasche wurde (vermutlich) gegen die Ecke des Schuhschrankes gestoßen
  • dieser Stoß war ursächlich für das Bersten der Flasche

Die Versicherung verweigerte aufgrund der Tatsachenfeststellungen die Zahlung.

geborsteneflasche

Die Klage:

Der Geschädigte verklagt deshalb den Abfüller mit der Begründung, dass den meisten Konsumenten die potenzielle Gefahr, die durch eine mit hochkarbonisiertem Getränk befüllte Glasflasche ausgeht, nicht bekannt ist. Es wird bemängelt, dass sich auf dem Etikett solcher Getränkeflaschen keinerlei Warnhinweise befinden, sodass aus der normalen Lebenserfahrung heraus solche Flaschen sorglos auch Kindern gegeben werden. Aus Sicht des Klägers ist dies auch deshalb unverständlich, da es in der Vergangenheit (auch bei diesem Abfüller) bereits zu ähnlich tragischen Unfällen gekommen ist und nichts unternommen wurde, um die Verbraucher aufzuklären. Aus Sicht des Klägers ist die Mineralwasserflasche im Sinne der Produktsicherheit fehlerhaft (insbesondere wegen eines Instruktionsfehlers), da die berechtigten Sicherheitserwartungen nicht erfüllt werden und auf die Gefahren nicht hingewiesen wird.

Feststellungen des Obersten Gerichtshofes:

Es wird festgestellt, dass die Flasche weder qualitative Unzulänglichkeiten noch (Vor-)Schädigungen aufwies.

Vermutlich wollte der damals etwa 104 cm große 4-Jährige die Flasche mit Schwung auf den 75 cm hohen Schuhschrank stellen und stieß dabei die Flasche gegen die Ecke des Schuhschranks.

Ursächlich für das Bersten der Flasche ist einzig der Schlag gegen den Schuhschrank.

Das Mineralwasserflaschen regelmäßig (nahezu täglich) explosionsartig bersten, wenn sie an einen harten Gegenstand angeschlagen werden, war dem Abfüller bereits vor diesem Vorfall bekannt.

Auf dem Etikett der Mineralwasserflaschen befinden sich auch heute noch keinerlei Warnhinweise oder Informationen, die auf die Gefahr hinweisen.

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgelehnt:

„In der Sache selbst verneinte das Berufungsgericht einen Konstruktionsfehler der Tafelwasserflasche der Beklagten; Glasflaschen würden seit Jahrzehnten tagtäglich und millionenfach für gashaltige Flüssigkeiten verwendet, es komme jedoch, wie die höchstgerichtliche Rechtsprechung zeige, nur äußerst selten zu Schäden infolge Bersten dieser Glasflaschen. Einen Produktionsfehler mache der Kläger tatsächlich gar nicht geltend. Auch ein Instruktionsfehler liege nicht vor, weil eine massive mechanische Einwirkung des Klägers auf die Flasche zu deren Bruch geführt habe und es erst in weiterer Folge zu einem explosionsartigen Bersten gekommen sei; jeder Benutzer von Glasflaschen wisse aber, dass diese zerbrechlich seien, wobei auch jeder Verbraucher von kohlesäurehaltigem Tafelwasser wisse, dass derartige Flaschen unter Druck stünden. Zu den berechtigten Sicherheitserwartungen gehöre es zwar, dass eine Getränkeflasche nicht von sich aus etwa in der Hand explodiere, nicht aber, dass die mit einem kohlesäurehaltigem Getränk gefüllte Flasche bei einem von außen herbeigeführten Glasbruch ohne jede Gefahr durch Glassplitter breche. Eine Verpflichtung des Herstellers zur Warnung vor den Folgen eines heftigen Anstoßes der Flasche würde zur Überspannung dessen Instruktionspflichten führen. Schließlich hätten die Beklagten auch nicht gegen die Produktbeobachtungspflicht verstoßen, hätten sie doch ohnehin von der Gefahr des explosionsartigen Berstens der Flasche nach einem Glasbruch gewusst.

[... .] Dies bedeutet, dass „eine nachträgliche Verschärfung des Sicherheitsniveaus“ nicht auf die bereits in Verkehr gebrachten Produkte ausstrahlen kann (Wagner aaO). Das Produkthaftungsgesetz kennt also weder eine Produktbeobachtungspflicht noch eine Pflicht zu nachträglicher Warnung beziehungsweise zum Rückruf (Wagner aaO ProdHaftG § 1 Rz 55).

Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich gleichzeitig das Verhältnis von Produkthaftung im Sinn des Produkthaftungsgesetzes und Produktbeobachtungspflicht: Erstere gilt grundsätzlich bis zum Inverkehrbringen des Produkts, letztere für den Zeitraum danach. In diesem Sinn sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu verstehen, wonach für den Kläger aus der Produktbeobachtungspflicht der Beklagten nichts zu gewinnen sei, weil diese ohnehin über die Gefahr des explosionsartigen Berstens der Flasche nach einem Glasbruch Bescheid gewusst hätten. War das tatsächlich der Fall, läge (allenfalls) ein Fehler nach § 5 PHG vor; andernfalls bliebe das Produkt „fehlerfrei“.

1.6. Der Kläger hält diese vom Berufungsgericht vertretene Auffassung für „weder plausibel noch einleuchtend“ und verweist auf die Kenntnis der Beklagten bei Inverkehrbringen der konkreten Flasche. Er spielt damit auf den Umstand an, dass die in den Händen des Klägers explodierte Tafelwasserflasche kein einzelnes in den Verkehr gebrachtes Produkt war, sondern Teil einer laufend und seit längerem produzierten und in Verkehr gebrachten Serie:

[... .] Daraus folgt aber, dass der Produzent einer Serie auf nach der Serieneinführung gewonnene Erkenntnisse Bedacht zu nehmen und diese Erkenntnisse in der zukünftigen Produktion zu berücksichtigen hat, widrigenfalls das dann hergestellte Produkt fehlerhaft im Sinn des § 5 PHG wäre (Welser/Rabl aaO; Wagner in MünchKommBGB5 [2009] ProdHaftG § 1 Rz 55); dabei hat der Produzent auch auf etwaige Miss- oder Fehlgebräuche seiner Produkte Rücksicht zu nehmen und zu reagieren (Graf von Westphalen aaO Rz 58). Bei laufender Serie ist also zu beachten, dass sich die Sicherungserwartungen im Laufe der Zeit „aktualisieren“ können (Graf von Westphalen aaO). Daraus folgt, dass die zukünftige Produktion einer Serie im Lichte neuer Erkenntnisse und unter Verwendung neuartiger Technologien im Interesse der Produktsicherheit zu modifizieren sein kann (Wagner aaO). Der Produzent ist dann dazu verpflichtet, aus seinen gewonnenen Erkenntnissen auch für die weitere Produktion der Serie Konsequenzen zu ziehen, also etwa die Konstruktion umzustellen, seinen Fertigungsprozess zu ändern oder die Instruktion seiner Benutzer zu verbessern (Wagner in MünchKommBGB5 [2009] § 823 Rz 650; BGH VI ZR 258/88 NJW 1990, 906; BGH VI ZR 150/93 NJW 1994, 3349). Die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht kann sich demnach bei einer Serie zu einem Verstoß gegen das Produkthaftungsgesetz verwandeln.

[... .] In diesem Zeitraum hatten die Beklagten den erwähnten Kenntnis- und Wissensstand.

Da ein explosionsartiges Zerbersten einer Tafelwasserflasche auch nach deren starkem Anschlagen an einen harten Gegenstand nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen entspricht (vgl 3.), haben die Beklagten die ihnen obliegende Produktbeobachtungspflicht verletzt; dafür haben sie nach allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechts einzustehen. [... .] oder jedenfalls die Instruktion der Benutzer zu verbessern. Insofern war die in den Händen des Klägers explodierte Tafelwasserflasche der Erstbeklagten (auch) fehlerhaft im Sinn des § 5 PHG gewesen.

[... .] Sowohl die österreichische als auch die deutsche Rechtsprechung hatten sich bereits mehrfach mit Sicherheitserwartungen in Bezug auf Glasflaschen auseinander zu setzen, die aufgrund sachwidrigen Verhaltens des Geschädigten zuerst brachen und dann aufgrund Überdrucks explodierten:

Der Oberste Gerichtshof verneinte in der Entscheidung 7 Ob 125/03p, auf die sich das Berufungsgericht berief, die Haftung des Herstellers einer Mineralwasserflasche, die im Fußraum eines PKW gegen einen harten Gegenstand rollte, dadurch brach und infolge des Innendrucks zerbarst. Da Ursache für den Bruch die „unüblich hohe Krafteinwirkung“ war, ist der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt nur bedingt mit dem hier zu beurteilenden vergleichbar; nach den Feststellungen der Vorinstanzen stieß der Kläger mit der Flasche (lediglich) stark beziehungsweise kräftig am Schrank an. Darüber hinaus war im Fall der Entscheidung 7 Ob 125/03p die angebrochene Mineralwasserflasche bei sommerlicher Hitze ohne Kühlung im Fußraum des Fahrzeugs gelegen.

[. ...] wenn ein Verbraucher eine teilentleerte, mit einem kohlensäurehaltigem Getränk gefüllte Glasflasche unabsichtlich hart auf festem Boden abstellt oder aus geringer Höhe auf diesen fallen lässt, sie umstößt oder stark beziehungsweise kräftig, nicht aber mit unüblich hoher Krafteinwirkung an einen festen Gegenstand anstößt. Dann braucht er aufgrund seiner berechtigten Sicherheitserwartungen aber nicht damit zu rechnen, dass die Flasche nicht nur zerbricht, sondern explodiert und Glasscherben beziehungsweise Glassplitter mit hoher Geschwindigkeit weggeschleudert werden.

[... . ] Zu den Instruktionspflichten des Herstellers gehört es, den Benutzer auf gefährliche Eigenschaften des Produkts hinzuweisen und ihn unter Umständen selbst vor widmungswidrigem Gebrauch zu warnen. Die Pflicht zur Warnung vor gefährlichen Eigenschaften des Produkts besteht bei einem Schutzbedürfnis des Verbrauchers. Ein solches ist dann gegeben, wenn der Hersteller damit rechnen muss, dass ein Produkt in die Hände von Personen gerät, die mit den Produktgefahren nicht vertraut sind. Beurteilungsmaßstab ist dabei der Idealtypus des durchschnittlichen Produktbenutzers. Inhalt und Umfang der Instruktionen sind dabei nach der am wenigsten informierten und damit gefährdetsten Benutzergruppe auszurichten. Nur was im Erfahrungswissen eines solchen (potenziellen) Benutzers liegt, muss nicht zum Inhalt einer Warnung gemacht werden (1 Ob 216/11p).

Dass es nicht im Erfahrenswissen eines durchschnittlichen typischen Verbrauchs liegt, dass mit kohlensäurehaltigem Inhalt befüllte Glasflaschen nach deren Bruch explosionsartig zerbersten, wurde bereits ausführlich dargelegt

[... .]

5. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Kläger aufgrund des Vorfalls vom 24. 6. 2009 am rechten Auge verletzt. Da die Beklagten sowohl rechtswidrig und schuldhaft (ihre Kenntnis des Fehlers steht fest) gehandelt als auch gegen die Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes verstoßen haben, haben sie dem Kläger für dessen Verletzung zu haften. Dass (offensichtlich) auch andere Hersteller von Glasflaschen mit kohlensäurehaltigem Inhalt keine Warnungen anbringen, vermag die Beklagten nicht zu entlasten; auf Branchenüblichkeit kommt es nämlich nicht an, weil die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen durchaus hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben können (8 Ob 21/11p).

6. Die Beklagten haben zwar im Verfahren erster Instanz vorgebracht, der Unfall sei eindeutig auf ein „Missgeschick des mj Klägers“ zurück zu führen, worunter der Einwand eines Mitverschuldens verstanden werden könnte. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Unfallszeitpunkt erst etwa vier Jahre alt war und ihm daher sein Verhalten, nämlich der Versuch des Abstellens der Flasche auf dem Schuhschrank, nicht als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten angelastet werden kann, die er trotz seiner Unmündigkeit einsehen konnte und auch eingesehen hat (vgl dazu 3 Ob 571/86 SZ 60/224 mwN). Darüber hinaus halten die Beklagten ihren (allfälligen) Mitverschuldenseinwand im Revisionsverfahren auch nicht weiter aufrecht.“

Fazit

Ein Abfüller ist schadensersatzpflichtig obwohl das Eigenverschulden des Konsumenten gerichtlich festgestellt wurde?

Zwei Feststellungen des Gerichts sollten jedem Abfüller zu denken geben: Jedem Verbraucher ist die Zerbrechlichkeit von Glas bekannt, dass aber ein CO2‑haltiges Getränk Glassplitter einer zerbrechenden Flasche sehr stark beschleunigt, weiß der normale Konsument hingegen nicht. Da er diese Gefahr nicht kennt, gibt er mit CO2-haltigem Getränk befüllte Flaschen auch bedenkenlos in Kinderhand.

Ist es zukünftig noch akzeptabel, wenn Kinder z.B. in der Werbung zusammen mit AFG-Flaschen dargestellt werden? Sollten Hersteller, die CO2-haltiges Getränk in Glasflaschen füllen, nun Warnhinweise auf die Etiketten drucken oder auf anderem Wege die Konsumenten über die möglichen Gefahren informieren? Wie reagierte die Öffentlichkeit auf solche Warnhinweise oder auf fehlende Warnhinweise, falls Verbraucher von anderer Seite über diese Problematik und die fehlenden Warnhinweise informiert würden?

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