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Raimund Kalinowski

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Komplette Laborausstattungen für unterschiedliche Betriebsgrößen festlegen

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Ist der Mensch tatsächlich frei in seinen Entscheidungen oder ist alles vorbestimmt? Wenn ein Schachspieler die nächsten 5 Züge seines Gegners korrekt voraussagen kann, bedeutet das, dass der Gegner keine andere Wahl hat oder dass äußere Einflüsse sein Tun bestimmen? Wenn der gegnerische Schachspieler nicht die 5 vorausgesagten Züge machen würde, wäre er vielleicht bereits in 3 statt in 5 Zügen matt gesetzt; aber machte dies einen Unterschied? Gibt es nur die Wahl entweder der Bestimmung des Hamsterrades zu folgen oder Zyniker zu werden?

Im vergangenen Jahr beschäftigte sich der Autor dieser Zeilen mit 2 Brauerei-Laboratorien für sehr unterschiedliche Betriebsgrößen, die im Rahmen von schlüsselfertig gelieferten Brauereien geliefert worden waren. Parallelen über nicht gelieferte Teile drängen die Frage auf: Wäre es auch anders möglich gewesen?

Wer ermittelt den Bedarf?

Sicherlich beschäftigen die Anbieter von schlüsselfertigen Brauereien nicht unbedingt erfahrene Brauerei-Betriebskontrolleure oder ehemalige Laborleiter, aber die zur Steuerung der Produktion notwendigen Analysen sollten jedem Brauereitechnologen ebenso bekannt sein, wie Grundkenntnisse in der Qualitätssicherung. Während des Studiums haben die Brauereitechnologen alle wesentlichen Analysen kennengelernt ohne dass ein echter Bezug zur Brauereitechnik hergestellt wurde. Die berufliche Erfahrung dieser Technologen beschränkt sich meist auf wenige Brauereien.

Wenn er nun ein Laborangebot ausarbeiten soll und pragmatisch vorgeht, kopiert er entweder den Angebotsumfang aus einem älteren Angebot oder er fragt einen etablierten Anbieter von Brauerei-Laborausstattungen, um ein vollständiges Angebot zu erhalten.

Was ist erforderlich?

Welche Analysen-Daten benötigt man zur Produktionssteuerung? Wenn alle wesentlichen Teile der Brauerei automatisch gesteuert werden, sorgfältig geplant sowie ausgeführt wurden und die Rohstoffe vertraglich abgesichert nur geringen Schwankungen unterliegen, dann benötigt die Produktion doch keinerlei Analysendaten? Was passiert wenn im Sudhaus weder der Jodtest durchgeführt wird noch die Konzentration von Pfannevoll-, Ausschlagwürze oder Glattwasser bestimmt werden? Das Vertrauen in die Technik ist grenzenlos, „intelligente“ Messwertaufnehmer kontrollieren sich selbst und melden unzulässige Abweichungen automatisch an die Steuerung, die erforderlichenfalls einen Bediener anfordert, der so frühzeitig eingreift, dass es zu keiner Abweichung in der Produktqualität kommt?

Bei Gasthaus- oder einigen alteingesessenen Kleinbrauereien wird das „Labor“ vom Braumeister mit abgedeckt. Die Kontrollen beschränken sich auf ein absolutes Minimum. Eine gewisse Schwankungsbreite (auch) der sensorischen Eigenschaften wird von vielen Kunden deutscher Kleinbrauereien eher positiv gesehen, da sie als Garant für die handwerkliche Herstellung in einer „Biermanufaktur“ stehen. Warum eine handwerkliche Arbeit nicht perfekt, d.h. fehlerfrei sein darf, soll hier nicht weiter betrachtet werden.

International gelten auch bei Kleinbrauereien in der Regel andere Maßstäbe und die Bierqualität wird über eine gleichmäßige Qualität ‑ mit kaum wahrnehmbaren Abweichungen ‑ definiert.

Eine schlüsselfertig bestellte Brauerei wird selten einen so hohen Automatisierungsgrad aufweisen, dass auf Produktionskontrollen vollständig verzichtet werden kann.

Was wurde geliefert?

Im ersten Fall wurde eine Brauerei mit einer Jahreskapazität von 50.000 hl geliefert. Die Brauerei füllt etwa 10% des Bieres in 30l Edelstahlkegs mit Flachkopffitting und 90% in eine 640 ml Flasche. Für die Keganlage ist eine KZE und für das Flaschenbier ist ein Tunnelpasteur vorhanden. Es gibt eine Hefereinzuchtanlage. Für die Bierfiltration wurden ein Rahmenkieselgurfilter und ein Schichtenfilter geliefert. Die technische Ausstattung der Brauerei entspricht sonst dem in Deutschland üblichen Standard für diese Brauereigröße.

Gelieferte Laborausstattung 50.000 hl Brauerei:

  • je 2 Suchspindeln für Würze und Bier mit einer Auflösung von 0,5°P, inkl. 2 Spindelzylinder
  • 1 Tüpfelplatte, 1 Tropfflasche (für Jodtest)
  • 2 Thermometer 0° - 120°C
  • 2 Erlenmeyerkolben 1l
  • 2 Trichter
  • 100 Faltenfilter
  • 1 Taschen-pH-Meter
  • 1 Mikroskop
  • 1 Laborzentrifuge
  • 1 Oberschalenwaage 0,01/2000g
  • 1 Spectralphotometer
  • 1 Hellige Neo-Komparator inkl. Farbscheiben
  • 1 CO2-Messgerät (zum manuellen Schütteln/Rollen) inkl. Rechenschieber
  • 1 Labor-Trübungsmessgerät
  • 1 Brutschrank 53 l



Im zweiten Fall handelt es sich um eine Brauerei mit einer Anfangskapazität von 300.000 hl, die Abfüllung erfolgt in Flaschen und in Dosen (jeweils mit Tunnelpasteur); die Brauerei plant in naher Zukunft eine Mälzerei zu errichten.

Die Liste für dieses Labor liest sich auf den ersten Blick komplett, so ist vom Getreide-Probenehmer über einen Probetrenner, einer Laborschrotmühle, einem Maischebad, einer Kjeldahl-Apparatur und einem Friabilimeter auch für die Bier- und Wasseranalytik scheinbar alles enthalten. Selbst ein Bieranalysevollautomat, ein Sauerstoffmessgerät und ein Pasteurisations-Daten-Logger gehörten zum Lieferumfang. Laborchemikalien, Fertig-Agar in Flaschen, Faltenfilter, Laborglas und diverses Zubehör waren in der Auftragsbestätigung zwar aufgeführt, aber nicht näher bezeichnet worden. Was verbirgt sich unter „einem Satz“ oder einer „Erstausstattung an Verbrauchsmaterialien“, sollten diese Materialien z.B. für die Inbetriebnahmedauer ausreichen oder nur um die Funktion der Laborgeräte zu testen?

Vermutlich waren sich Verkäufer und Kunde beim Vertragsabschluss einig und bei dem Gesamtkaufpreis der Brauerei im hohen zweistelligen Millionenbereich verzichtete man einvernehmlich darauf jeden Faltenfilter und jede Spritzflasche einzeln aufzulisten. Aber der, der später diese Laborausstattung bestellte, versuchte offensichtlich sich an die Auftragsbestätigung zu halten und Kosten zu sparen. Bei nicht näher spezifizierten Mengen wurden offensichtlich immer die kleinsten Verkaufseinheiten bestellt, die z.B. bei Glaswaren meist 2 bis 6 Stück pro Größe enthalten. Obwohl zahlreiche auch sehr teure Geräte aufgeführt sind, sucht man eine Laborspülmaschine vergeblich und die Oberschalenwaage mit max. 1.200g und einer Auflösung von 0,1g ist nicht eichfähig und besitzt weder einen Kalibrierschein noch ein Kalibriergewicht, der Listenpreis beträgt inkl. Steckernetzteil genau 100,- Euro netto. Das in der Mikrobiologie Impfösen/‑nadeln, ein Drigalskispatel oder Petrischalen und fehlen, ist sicherlich ärgerlich, aber dies wurde vermutlich genauso vergessen, wie die Schläuche zum Anschluss der Bunsenbrenner.

Beide Betriebe arbeiten nach dem Reinheitsgebot und stellen mehrere Biersorten her. Die Laborausstattung der kleineren Brauerei wurde für etwa 50.000 Euro verkauft. Die des größeren Betriebes kostete ein mehrfaches dieser Summe.

Analysenumfang ./. Laborausstattung

In einigen Ländern ist die Ehrfurcht vor dem Wissen deutscher Brauer ungebrochen und erschreckend hoch. Der Lieferumfang der Laborausstattung wurde deshalb von beiden Betrieben nicht in Frage gestellt, sondern die Routineuntersuchungen wurden den vorhandenen Geräten angepasst.

Der kleinere Betrieb führt deshalb von jedem Sud eine Bitterwert- und von jeder Packung Hopfenpellets eine Bitterstoffbestimmung durch. Bereits nach sehr kurzer Zeit stellte man hier fest, dass das gelieferte einfache Spektralphotometer eher für den vor Ort Betrieb durch einen Klärwärter gedacht und für die vorgesehenen Analysen vollkommen unbrauchbar ist. Ein Schüttler ist nicht vorhanden, sodass es nicht wirklich verwundert, dass trotz Anschaffung eines ordentlichen Spectralphotometers signifikante Abweichungen der Bitterstoffe in den Hopfenpellets von Packung zu Packung festgestellt werden. Fast zehn Prozent des Wertes der Laborausstattung stellt das wirklich sehr hochwertige Mikroskop dar, das vornehmlich zum gestalterischen Gesamtbild des Labors beiträgt und ausschließlich zum direkten Mikroskopieren von Betriebsproben verwendet wird. Das gelieferte „CO2‑Messgerät“ weist so erhebliche systematische Fehlerquellen auf, dass es einer sensorischen Analyse in der Praxis unterlegen ist.

Obwohl es in der kleineren Brauerei eine Flaschenwaschmaschine, eine Kegabfüllung und eine Stapel-CIP-Anlage gibt, sucht man Büretten vergeblich.

Und sie dreht sich doch!“

Wenn man erkennt, dass diese Brauereien trotz der gelieferten „Unzulänglichkeiten“ der Laborausstattung relativ problemlos produzieren, stellt sich die Frage welche Laborausrüstung ist wirklich sinnvoll? In Deutschland kann man Analysen preiswert von akkreditierten Laboratorien durchführen lassen, sodass die meisten deutschen Brauereien kaum auf die Idee kämen sich an einer Hopfenanalyse zu versuchen.

Kann man den mitgelieferten Analysen der Hopfenhändler und der Mälzereien trauen? Auch für ausländische Brauereien wäre es leicht möglich Kontrollanalysen bei akkreditierten deutschen Laboratorien durchführen zu lassen.

Die Frage, ob man tatsächlich ein hochwertiges Mikroskop mit Öl‑Immersionsoptik benötigt, würden die meisten Leser sicherlich verneinen, aber wie bei der Ausstattungsliste eines Automobils zählen hier nicht nur rationale Gründe.

Was hätte man anders machen sollen?

Was haben die Brauereien falsch gemacht? Sie haben nach Angebot, d.h. nach Pflichtenheft bestellt und es offensichtlich versäumt vor der Angebotsabgabe ein Lastenheft zu erarbeiten.

Zahlreiche Streitfälle ließen sich vermeiden, hätte der Kunde vor dem Absenden der Anfrage ein Lastenheft erstellt. Dies vereinfacht es auch dem Lieferanten ein qualifiziertes Angebot abzugeben.

Die Systematik des Lastenhefts darf sich von der des Angebots deutlich unterscheiden. Sinnvollerweise werden sämtliche Rohstoffe, Produktionsschritte inkl. eingebauter Messgeräte sowie gesetzliche Vorschriften nacheinander betrachtet; eine Analysenmethoden-Sammlung ist hierbei hilfreich.

Wenn z.B. Stadtwasser ohne jedliche Aufbereitung verwendet werden soll, ist mit dem Wasserversorger abzuklären welche Schwankungen möglich sind. Auch ungewöhnliche Vorkommnisse, wie z.B. die Entnahme von Löschwasser durch die Feuerwehr und damit verbundene mögliche Auswirkungen sollten besprochen werden. Die Bestimmung von p- und m‑Wert, Chlor- und Fettfreiheit sind sehr einfach und kostengünstig durchzuführen. Eine mikrobiolgische Untersuchung des Wassers ist sicherlich sinnvoll. Falls eine Wasseraufbereitung betrieben wird, sollte die ordnungsgemäße Funktion jedes Schrittes der Anlage überprüft werden können.

Bei jeder Analyse sollte man sich fragen: Was passiert, wenn eine unzulässige Abweichung festgestellt wird, welcher Aufwand ist mit der Analyse verbunden, wie oft sollte die Analyse durchgeführt werden, kann man diese Untersuchung problemlos von einem externen Labor durchführen lassen, kann die Auswirkung des Untersuchungsergebnisses auch anders ermittelt werden?

Das Ergebnis einer Schrotsortierung ist relativ wertlos, wenn man nicht weiß, wie die installierte 6-Walzen-Schrotmühle überprüft und eingestellt wird. Die Schrotzusammensetzung ändert sich nicht von heute auf morgen. Die korrekte Entnahme einer Schrotprobe beherrschen nur wenige. Aber wenn die Schrotzusammensetzung nicht stimmt, muss es doch einen Einfluss auf die Produktion haben, was man mit statistischen Methoden erkennen kann, bevor es zu echten Problemen in der Produktion kommt?

Fazit: Gesundes Augenmaß

Eine Thomakammer kostet nur etwa 1% des Anschaffungspreises eines Laborplansichters. Die Bestimmung der Luft im Flaschenhals mit der Unterwassertrichtermethode ist einfach durchzuführen und die Apparatur sprengt kaum ein Budget. Die Routine-Überprüfung des Fremdgasanteils in einer CO2-Lieferung ist mit sehr geringem apparativem Aufwand möglich. Füllmengen und Füllhöhenschablonen sollten in einem Betrieb ebensowenig fehlen wie Lehren zur Überprüfung des Sitzes eines Kronenkorkens. Aber alle diese Teile fehlen in beiden gelieferten Laborausstattungen.

Wenn eine moderne Großbrauerei die Sude eines Produktionstages für die Bestimmung des Endvergärungsgrades zusammen schüttet und dies damit erklärt, dass diese auch in einem Tank zusammen vergoren werden, kann man dieses Vorgehen nicht einfach auf andere Betriebe übertragen. Wenn in einer Brauerei Gärtanks für die Aufnahme von Einzelsuden bzw. 2 Suden installiert wurden, macht es dann Sinn, den durchschnittlichen Endvergärungsgrad von 2 Pils-, 1 Bockbier- und 2 Leichtbiersuden gemeinsam zu bestimmen?

Der Lieferant einer schlüsselfertigen Brauerei ist immer auch ein Berater. In der Regel wird er bei Teilen die er komplett zukauft ‑ wie eine Laborausstattung ‑ relativ ergebnisoffen und neutral beraten, sodass ein externer Berater das Ergebnis nur verbessert, wenn er z.B. gezielt bei der Erstellung eines Lastenheftes für die Laborausstattung hilft.

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