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Raimund Kalinowski

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Edelstahl rostfrei

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Der Weltmarktführer eines Medizinprodukts baut in dieses Produkt auch eine kleine Edelstahlrohrleitung ein. Bei einem Produkt-Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro werden für dieses Bauteil im Jahr etwa 16.000 Euro ausgegeben, das entspricht etwa 0,03% des Umsatzes. Der neue Einkäufer diesr Firma muss vorgegebene Ziele erfüllen, um seinen vollen Lohn zu erhalten. Ein Ziel ist es, bei dieser Position mind. 5% (800,- Euro im Jahr) einzusparen. Der jetzige Lieferant ist der Hersteller dieser Rohrleitungen und fertigt sie etwa 50 km entfernt in Deutschland. Der neue Einkäufer fragt diese Rohrleitungen nun weltweit an und bekommt das niedrigste Angebot von einem Händler in der EU, der die Rohrleitungen für 15.100,- Euro liefern will. Dieser Händler erhält den Auftrag und bestellt sie bei einem anderen Händler, der sie ebenfalls von einem Händler bezieht, der sie bei einem Hersteller im außereuropäischen Ausland einkauft. Der seit vielen Jahren verwendete Bestelltext diente zur Anfrage und wird auch für die Bestellung verwendet. Dass die Prüfbescheinigung 3.1 B nach EN 10204 seit 2005 nur noch 3.1 heißt, interpretiert der Hersteller der Rohrleitungen korrekt und lieferte eine Prüfbescheinigung der entsprechend aktuellen Norm mit. Leider entspricht weder die Qualität der Ware, noch die der Bescheinigung, den Erwartungen und Bedürfnissen des Bestellers. Die Ware ist für den Anwendungsfall unbrauchbar, obwohl gemäß Bestellung geliefert wurde.

Wer hat hier etwas falsch gemacht? Hätte die Konstruktionsabteilung diese Bauteile so im System ablegen müssen, dass der Einkauf mit dieser Spezifikation garantiert das angeboten bekommt, was gebraucht wird? Kann eine CAD-Software ein Bauteil durch ein Lastenheft spezifizieren? Nicht-Techniker sind häufig davon überzeugt, dass man technische Anforderungen vollständig und fehlerfrei beschreiben kann.

Wert von Normen

Normen stecken in der Regel nur einen Rahmen ab, da sie für eine Vielzahl von Anwendungen gebraucht werden sollen. Manche Normen haben sehr lange Bestand und andere werden regelmäßig überarbeitet. Häufig bezieht man sich auf Normen ohne den Inhalt der Normen tatsächlich zu kennen. Das heißt, dass man regelmäßig etwas in Normen hinein interpretiert, was dort gar nicht festgelegt ist.

Die vorhandenen Normen decken selbst die Minimal-Anforderungen für den Bereich des hygienischen Rohrleitungsbau nicht ab.

In der Regel werden Bauteile aus Edelstahl rostfrei nach Katalog oder nach Angebot bestellt. Sehr selten wird eine qualifizierte Anfrage erstellt. Warum der, der eine Anfrage verschickt oder etwas bestellt, in der Regel hierfür kein Lastenheft (Anm.: VDI-Richtlinie 2519 Blatt 1: Das Pflichtenheft ist die Beschreibung der Realisierung aller Kundenanforderungen, die im Lastenheft gefordert werden) verwendet, kann hier nicht beantwortet werden. Es wird aber dringend empfohlen, die erwarteten Eigenschaften detailliert in der Anfrage und in der Bestellung zu beschreiben, sofern man nicht absolut sicher weiß, dass der Lieferant das Gewünschte tatsächlich liefern wird. Auch ein extrem komplexer Vertrag kann niemals Vertrauen ersetzen.

Kontaktkorrosion edelstahl rostfrei

Abb. 1 Fortgeschrittene Kontaktkorrosion

Lieferanten ändern sich

Noch vor wenigen Jahren hat ein bedeutender Hersteller von Edelstahl-Armaturen z.B. jedes gefertigte Scheibenventil elektrolytisch poliert und Rohrformstücke selbstverständlich normgerecht aus geglühtem Vormaterial hergestellt. Entgraten - Beizen - Elektropolieren gehörte bei vielen Bauteilen zur normalen Endbehandlung, unabhängig davon ob eine Norm oder ein Kunde dies verlangten.

Da bei der häufig verwendeten Milchrohrverschraubung nach DIN 11851 so große Toleranzen zulässig sind, dass eine Verschraubung, die unter Ausschöpfung der Toleranzen gefertigt wird, nicht problemlos verwendet werden kann, hat dieser Hersteller eine Hausnorm eingeführt, die mit deutlich engeren Toleranzen und speziell gefertigten Werkzeugen Verschraubungen gewährleistete, die problemlos funktionierten. Er fertigte kundenorientiert, vergaß aber die Regel: Tue Gutes und sprich darüber.

Ein Wettbewerber gewann sehr schnell erhebliche Marktanteile mit der Philosophie: Alles was der Markt nicht extra bezahlt, bekommt er nicht. Natürlich wurde nicht beschrieben, was die Bauteile so billig machte. Auf einmal kaufte man Rohrbögen mit der Kurzbezeichnung CC und statt „nach DIN 11852“ gab es jetzt Bögen „für DIN 11850“. Insbesondere Montagebetriebe und Einkäufer des Anlagenbaus kauften diese teilweise deutlich billigeren Bauteile. Der etablierte Hersteller schaffte es nicht den Mehrwert seiner Bauteile für den Endkunden zu kommunizieren, sodass z.B. schlecht entgratete oder klemmende Verschraubungen heute fast die Regel sind.

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Abb. 2 Auf einzelnes Bauteil begrenzte Korrosion

Die Lohnkosten sind, durch den hohen Automatisierungsgrad für die Ermittlung der Herstellkosten, fast vernachlässigbar. Wenn durch staatliche Subventionen die Kapitalkosten sinken oder Produktionsschritte „eingespart“ werden, lassen sich die Herstellkosten viel effektiver senken als durch Mitarbeiterausbeutung.

Spannungsfrei?

Wenn aus einem Blech durch Kaltverformung die Form eines Rohres entsteht, verändert sich das Materialgefüge. Fachmännisch wird durch eine kontrollierte Wärmebehandlung (Glühen) das ursprüngliche Gefüge wieder hergestellt, bevor aus dem Rohr durch erneute Kaltverformung z.B. ein Rohrbogen wird. Diese Rohrbögen werden mit der Kurzbezeichnung BC gekennzeichnet.

Wenn die Wärmebehandlung des Rohres vor der Fertigung des Bogens entfällt, wird er mit CC gekennzeichnet. Die Korrosionsbeständigkeit eines CC Rohrbogens ist deutlich schlechter, als die der Ausführung BC, die dem des Rohres entspricht. Wenn Korrosion nur an den Rohrformstücken wie Bögen auftritt, liegt die Vermutung nahe, dass die minderwertige Ausführung CC verwendet wurde.

Die üblichen Beständigkeitstabellen beziehen sich üblicherweise auf Material, das (vor der Kaltverformung) „spannungslos geglüht“ wurde. Ein Glühen nach der Kaltverformung könnte die Korrosionsbeständigkeit von Rohren und Rohrformstücken verbessern, dies ist aber unüblich. Die Gefügeveränderung durch die Kaltverformung verändert neben der Korrosionsbeständigkeit auch die Magnetisierbarkeit, was man mit einem (möglichst starken) Permanentmagneten leicht feststellen kann.

Wenn Edelstahl rostfrei korrodiert, liegt es selten an der falschen Materialauswahl, sondern meistens an Verarbeitungsfehlern. Durch Korrosion findet auch ein Materialverlust statt. Sichtbare Korrosion sollte unverzüglich gestoppt werden, bei fortgeschrittener Korrosion muss das Bauteil ausgetauscht werden.

Lochfrasz_sauer

Abb. 3 Lochfraß durch Chlorid im sauren Medium, nach CIP

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Abb. 4 Lochfraß durch Chlorid im sauren Medium, nach CIP, nach Passivierung

Rohre werden heute in der Regel noch nach DIN 11850 Reihe 2 verwendet. Auch die „ähnlich DIN 11850 Reihe 1“, auch als „Schummelreihe“ bezeichneten Abmessungen, sind noch gebräuchlich, sie sollten aber auf gar keinen Fall mehr verwendet werden. Hier ist der Innendurchmesser gegenüber der Norm um 1 mm zu klein und bei der Verarbeitung muss entweder durchgängig Material mit diesen nicht-normgerechten Abmessungen verwendet werden ‑ was praktisch unmöglich ist ‑ oder die Maßunterschiede müssen „ausgeglichen“ werden.

Wer zeitgemäße hygienische Rohrverbindungen nach DIN 11853 (oder aseptische nach DIN 11864) verwendet, wird in der Regel Rohr nach DIN 11866 verwenden.

Welcher Werkstoff ist zeitgemäß?

Vor 40 Jahren, als viele Brauereien Rohrleitungen aus Kupfer ersetzen wollten und ein Scheibenventil aus Edelstahl rostfrei ein anderes Zeitalter zum gebräuchlichen Messingwechsel einläutete, wurde einfach „V2A“ bestellt. Diese Bezeichnung der Firma Krupp steht für eine Gruppe von rostfeien Edelstählen, wobei 1.4301 am gebräuchlichsten war. Durch die Globalisierung wurde verstärkt die amerikanische Bezeichnung AISI 304 verwendet. Die Bezeichnung V4A der Firma Krupp wurde gleichgesetzt mit dem Werkstoff 1.4401 oder der amerikanischen Bezeichnung AISI 316. Statt 1.4401 wurde regelmäßig 1.4571 (entsprechend AISI 316 TI) eingesetzt. Der Titangehalt dieses Werkstoffs diente aber nicht der Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit, sondern der Titantzusatz hat die Verarbeitungsfähigkeit durch die Bindung von Kohlenstoff verbessert. Bei modernen Herstellungsverfahren kann der Kohlenstoffgehalt niedrig genug eingestellt und auf die Zugabe von Niob oder Titan verzichtet werden. Da der Werkstoff 1.4571 kaum noch nachgefragt wird, kann der Marktpreis für diesen Werkstoff erheblich vom „fairen“ Wert abweichen.

Werkstoffpreise werden üblicherweise pro Kilogramm angegeben. Aus Anwendersicht werden Tanks und Rohrleitungen aber in der Regel nicht nach Gewicht ausgewählt, deshalb kann ein sinnvoller Preisvergleich nur für das fertige Bauteil erfolgen. Bei Edelstahl rostfrei sind die Dichteunterschiede gering, bei Sonderwerkstoffen kann er aber erheblich sein. Die Dichte von Hastelloy beträgt ca. 9217 kg/m³, die von Titan nur etwa 4500 kg/m³ und ein Werkstoff Nr. 1.4401 liegt bei ca. 8000 kg/m³.

Ein sehr zäher Werkstoff kann auf der Drehbank Probleme bereiten, da der Span nicht bricht und der endlos erscheinende Span sich um rotierende Teile wickeln und damit Störungen verursachen kann. Schwefel dient dazu die Zerspanbarkeit zu verbessern. Aber die Neigung leichter zu brechen gilt nicht nur für den Span, sondern auch für das Werkstück.

Die Entwicklung im Bereich der spanenden Fertigung verschiebt auch die Auswahl der einsetzbaren Werkstoffe. Um ein Bohrloch zu erzeugen, kann man einen Spiralbohrer verwenden. Neben der Problematik der Span-Abführung, hat jeder Spiralbohrer eine Unwucht, sodass das Fertigungsverfahren durch Riefen im Bohrloch leicht zu erkennen ist. Hochpräzise Einspritzdüsen in der Automobilindustrie werden bereits seit Jahren mit Schleifstiften hergestellt. Die Anforderungen an den Werkstoff sind für die spanende Fertigung mit definierter Schneide (Drehen, Fräsen, Bohren) jedoch vollkommen andere, als beim Präzisionsschleifen.

In der Flugzeugindustrie wird die spanende Fertigung bereits teilweise durch 3-D-Drucker ersetzt, die natürlich andere Werkstoffeigenschaften verlangen.

Verwirrende Materialbezeichnung

Die deutlich kürzere Materialbezeichnung nach AISI lässt vermuten, dass die in Deutschland gebräuchliche Werkstoffnummer eine genauere Spezifikation mit engeren Toleranzen definiert. So verwundert es nicht, dass der in der pharmazeutischen Industrie und für Warmwassertanks gebräuchliche Werkstoff 1.4435 und der „normale V4A“ 1.4404 in AISI 316L zusammengefasst sind. Da auch die Amerikaner erkannten, dass es Sinn macht Werkstoffe genauer zu spezifizieren wurde das United Numbering System [UNS] entwickelt, das 5-stellig ist und bei dem die ersten drei Ziffern der AISI Nummerierung entsprechen. International ist das UNS nicht gebräuchlich. Der Werkstoff 1.4401 hat nach DIN EN 10088-2 die Kurzbezeichnung X5CrNiMo17-12-2, nach AISI heißt er 316 und nach UNS S 31600, der Werkstoff 1.4435 heißt 316L nach AISI und S 31603 nach UNS und X2CrNiMo18-14-3 nach DIN. Das der Werkstoff 1.4401 der GUS GOST Bezeichnung 08 Ch 16 N 11 M 3 entspricht, mag ein wenig verwirren, da diese Bezeichnung ähnlich wie der DIN Kurzname die Zusammensetzung angibt, aber offensichtlich mit anderen Sollwerten.

Beständigkeitstabellen

Bei der Erstellung von Beständigkeitstabellen wird zum einen eine Werkstoffprobe mit intaktem Gefüge verwendet und zum anderen werden reine Chemikalien verwendet. Da die Laborbedingungen häufig erheblich von den Betriebsbedingungen abweichen, kann die tatsächliche Beständigkeit deutlich besser oder auch schlechter sein, als es in den Tabellen ablesbar ist. In der Regel wird man keine eigenen Korrosionstests durchführen, sondern auf die Korrosionsbeständigkeit eines höherwertigen Werkstoffs vertrauen.

Zusammenfassung

Durch eine „suboptimale“ Verarbeitung sinkt die Korrosionsbeständigkeit von Werkstoffen, was der Anwender in der Regel durch die Wahl höherwertiger Werkstoffe auszugleichen versucht. Die Werkstoff-Erfahrungen der Anwender hinken der Entwicklung der Werkstoffe und der Fertigungsverfahren hinterher. Neue Bezeichnungen und kreative Formulierungen wird der Anwender häufig nicht richtig deuten.

Heutige Normen sind nicht in der Lage ein Lastenheft zu ersetzen und auch sehr durchdachte Verträge können mangelndes Vertrauen in den Lieferanten nicht kompensieren.


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© 2015 by Raimund Kalinowski