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Raimund Kalinowski

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Stellt jede Innovation [Neuerung] einen Fortschritt dar?

Vor 100 Jahren war man stolz darauf seine Brauerei als Dampfbierbrauerei bezeichnen zu können, denn mit Dampf konnte man schonender und kontrollierter kochen. In den 1970-er Jahren begann der Trend ein 95% Bier ähnlich dem 95% Auto zu entwickeln. So wie 95% der Autofahrer in dem 95% Auto halbwegs akzeptabel sitzen können, so akzeptieren 95% der Leute ein 95% Bier. So wie beim Auto nicht die Jahresfahrleistung oder gar der Besitz eines Führerscheins berücksichtigt wird, so zählt beim Norm-Konsumenten auch nicht ob und wie häufig er Bier trinkt. Die Forschung auf dem Gebiet „Wie senke ich Produktionskosten, so dass 95% der Konsumenten es nicht merken“, wurde stark von Prof. Kieninger beeinflusst und mit seinem Ableben im Jahre 1985 fand diese Forschung zunächst eine Unterbrechung.

Woher kommt dieser Wert von 95%? Selbst der Golf als Spitzenreiter kommt nur auf etwa 5% der Neuzulassungen in Deutschland. Die größten Brauereien in Deutschland haben auch nur einen Marktanteil im einstelligen Prozentbereich. Wo sollen die 5% einkaufen, die nicht zu den 95% gehören? Wieviel teurer wäre es, wenn man 96% statt 95% wählen würde? Die Gruppe der nichtbedienten Kunden würde dadurch immerhin um 20% reduziert!

Eine Kostenreduzierung muss nicht beweisbar sein, sofern Aktionäre oder die Käufer von Anlagen an die Einsparung glauben, ist die entsprechende technische Lösung aus Verkäufersicht in der Regel sinnvoll. Falls eine Einsparung hingegen zwar beweisbar ist, der Beweis aber von der Zielgruppe nicht verstanden wird, wird diese Lösung sich kaum „verkaufen“ lassen.

Moderne Läutergeräte: Strainmaster, Maischefilter?

aufhacker

Abb.: Aufhacker aus Illustriertes Brauerei-Lexikon, Dr. Max Delbrück, 1910

Wenn man sich die vergangenen 100 Jahre Entwicklung im Bereich Läuterung und Würzekochung ansieht, stellt man fest, dass sich das Wissen der Menschheit in den vergangenen 100 Jahren zwar exponentiell erweitert hat, aber der Fortschritt im Bereich der Läutertechnik und Würzekochung scheinbar deutlich kleiner ausfällt. Aus heutiger Sicht ist es kaum erklärlich, dass einige technische Lösungen tatsächlich entwickelt und mehrfach gebaut wurden sind. Im Lehrbuch der Lebensmittelchemie [6. Auflage, ISBN-10: 3540732012] steht sogar im Jahre 2007 noch geschrieben: „... . Neben solchen Läuterbottichen werden leistungsstärkere Aggregate wie Strainmaster oder Maischefilter eingesetzt. ...“. Andere Publikationen wiederholen die „Vorteile“ des Strainmasters im Wortlaut, der bereits vor 40 Jahren nicht mehr stimmte. Strainmaster und klassische Maischefilter wird eine Brauerei heute kaum noch in Erwägung ziehen und auch Maischefilter moderner Bauart haben es schwer sich gegen einen modernen Läuterbottich zu behaupten, dessen Grundentwicklung über 100 Jahre alt ist.

spielvogel

Abb.: Schnellabläuterung System Spielvogel (Nachbau)

Warum keine Gesamtbetrachtung?

Mit zunehmender Schüttung/Quadratmeterbelastung und mit abnehmender Zeit für die Nachgüsse, sinkt die Ausbeute. Da der Malz(Extrakt-)preis im Verhältnis zu den Energiekosten seit Jahren fällt und geringere Investitionskosten oder Energieeinsparungen sich leichter „verkaufen“ lassen, freut man sich über den Läuterbottich, der 14 Sude am Tag verarbeiten kann. In der Regel wird keine Gesamtbetrachtung durchgeführt, dass z.B. die Läuterarbeit einen erheblichen Einfluss auf die Kochtrubausscheidung im Whirlpool hat, wird gerne ignoriert. Häufig werden Amortisationszeiten von Investitionsmehrkosten isoliert betrachtet, was dazu führen kann, dass die scheinbar billigere Lösung gewählt wird.

Die meisten Entwicklungen zielten darauf ab, die Investitionskosten zu senken, hierzu zählen z.B.:

  • der ringförmige Läuterbottich, der den inneren Kreis, der im Verhältnis zur Läuterfläche überproportional hohe Investitionskosten verursacht, einfach weg lässt

  • die Anzahl der Anstiche deutlich zu reduzieren

  • Anstiche nicht mit Konen sondern stumpf in den Läuterbottichboden einzuschweißen

  • Schieber statt Treberklappen einzusetzen [Anm.: pro Sud geht hierbei mehr als 1 kg Extrakt mit den Trebern zusätzlich verloren]

  • Vergrößerung der Schlitzweite des Senkbodens, Verringerung der freien Durchgangsfläche, Reduzierung der Materialstärke des Senkbodens oder der Einsatz von Profildraht statt eines gefrästen Senkbodens

Bei einigen dieser Maßnahmen stellte sich schon bald heraus, dass die Einsparung im Bereich der Investitionskosten zu teuer erkauft wurde, sodass diese „Innovationen“ sich nicht etablieren konnten. Andere Entwicklungen zeigten keine gravierenden Nachteile und existieren neben den konventionellen Ausführungen. Den größten Fortschritt gab es im Bereich der Läutersteuerung. Bis Ende der 1970-er Jahre war der manuell bediente Läutergrant noch durchaus üblich, obwohl Spielvogel (Weigelwerk Essen) bereits in den 1960-er Jahren eine teilautomatisierbare Zentralabläuterung in die Brauerei eingeführt hatte.

Die ersten vollautomatischen Steuerungen wurden von Zeitgliedern beherrscht. Auch heutige Automatisierungen nutzen häufig noch Zeitglieder und nicht primär die von den Messgeräten erhaltenen Informationen. Die Volumenstromregelung wird häufig nach der Regel „akzeptabele Genauigkeit“ [„good enough“] ausgeführt, obwohl z.B. durch dynamische Sollwertgeber und andere Regelorgane die Regelgüte und damit auch die Abläuterung mit einem sehr geringen Aufwand verbessert werden könnte.

Trubstoffe in der Würze, Ausbeute und Läuterbottichbelegzeit sind wie vor 100 Jahren die Hauptpunkte zur Bewertung eines Läuterbottichs. Wobei die Läuterbottichbelegzeit primär durch eine Reduzierung der Läuterruhe auf Null und durch kürzere Abmaisch- und Austreberzeiten deutlich reduziert wurde. Die gemäß Belegungsplan zur Verfügung stehende Belegzeit sollte insbesondere für die Nachgüsse genutzt werden, da dies in der Regel positiv für die Ausbeute und einen geringen Trubstoffgehalt ist.

Würzequalität contra Betriebskosten?

Im Bereich der Würzekochung versuchte man zunächst die Würze-Qualität zu verbessern und die Reinigungsintervalle zu verlängern, indem man durch größere Heizflächen die Grenzflächentemperatur senkte. Die Einführung der luftfreien Kochung verbesserte den Wirkungsgrad des Pfannendunstkondensators und war die Voraussetzung für die mechanische und die thermische Brüdenkompression. Insbesondere durch den Einsatz externer Wärmeübertrager mit geeigneter Umwälzpumpe ließen sich die gewünschten Würzequalitäten und lange Reinigungsintervalle erzielen. Kontinuierliche Kochsysteme, die durch entsprechende Rekuperationsabteilungen eine erhebliche Energieeinsparung erzielten, waren in der Regel falsch ausgelegt. Durch viel zu geringe Strömungsgeschwindigkeiten brannte die Würze regelmäßig an. Vakuumkochsysteme ebenso wie „Niederdruckpfannen“, die auf 2,5 bar Überdruck ausgelegt waren, kamen über ein Versuchsstadium nicht hinaus, da grundlegende Probleme während der Planung nicht bedacht wurden waren. Im Ausland werden gegenwärtig wieder Würzepfannen mit Außenkochern nachgefragt, die während der Kochung keine Umwälzpumpe benötigen. Vor 25 Jahren baute man in der DDR eine Niederdruckpfanne mit Außenkocher ohne Umwälzpumpe. Beim Aufheizen brannte die Würze regelmäßig an, sodass die „aktuellen“ Thermo-Syphon-Systeme zum Aufheizen eine Umwälzpumpe einsetzen. Die damals in der DDR installierte Niederdruckpfanne mit „Thermo-Syphon“-Außenkocher praktizierte außerdem die pulsierende Kochung, d.h. wenn der Druck auf den Solldruck angestiegen war, wurde der Schieber des Kamins geöffnet, der Druck wurde hierbei nahezu vollständig abgebaut, danach schloss der Schieber wieder und öffnete erneut, wenn der Solldruck erreicht war. Diese Betriebsweise erfand ein namhafter Sudhausbauer nach einigen Jahren neu. Die Erfindungshöhe in der DDR war hingegen eher gering, man praktizierte die pulsierende Kochung nur aus einem einzigen Grund: der geplante PID-Regler war nicht lieferbar, sodass eine 2-Punktregelung verwendet werden musste. Zunächst war man mit den Ergebnissen (mit Ausnahme des Anbrennens beim Aufheizen) sehr zufrieden, da die ermittelten Analysendaten vollständig den Vorgaben entsprachen. Gelegentlich auftretende Filtrationsprobleme brachte man nicht mit der Würzekochung in Verbindung. Erst einige Jahre später konnte man nachweisen, dass durch die pulsierende Kochung die Bildung von Betaglucangel begünstigt wurde. Aber warum propagierte ein namhafter Sudhausbauer die pulsierende Kochung obwohl die Analysendaten keinerlei Vorteile zeigten? Warum wollen Kunden während der Kochung die Umwälzpumpe abschalten? Vermutlich weil sie glauben, dies wäre vorteilhaft. Eine abgeschaltete Pumpe benötigt z.B. keinen elektrischen Strom. Früher gab es auch Zentralheizungen ohne Umwälzpumpe. Wie bei den Zentralheizungen ist der Investitionsbedarf für Außenkocher, die während der Kochung keine Umwälzpumpe benötigen, deutlich höher und die technisch/technologischen Möglichkeiten werden deutlich eingeschränkt. Die Analysendaten hingegen sind innerhalb der Toleranz. Auch bei der Kochung, die zunächst nur die Kochtemperatur hält ohne etwas zu verdampfen und dann mit einer geringen, kontinuierlichen Verdampfung die gewünschten Analysendaten (insbesondere DMS-Gehalt) erreicht, scheint auf den ersten Blick alles in bester Ordnung zu sein. Die Analysendaten sind aber nicht das Ziel sondern nur Indikatoren dafür, dass man das Ziel auch tatsächlich erreichen kann

belegungsdiagramm

Abb.: Beispiel eines Belegungsdiagramms

Nicht alles was neu ist, ist auch zwangsläufig besser. Viele „innovative“ Entwicklungen konnten sich wegen erheblicher Nachteile nicht am Markt durchsetzen. Es werden häufig Philosophien und schwierig zu überprüfende Vorteile erfolgreich verkauft und technische Möglichkeiten - insbesondere im Bereich der Steuerung - nur unzureichend genutzt. Die Entwicklung der vergangenen 100 Jahre im Bereich der Läutertechnik und beim Würzekochen hat viele Wege beschritten und ist sicherlich deutlich voran gekommen, wenn man jedoch die insgesamt zurückgelegte Wegstrecke betrachtet, kann das Ergebnis nur bedingt befriedigen. Auch wenn es akzeptabel erscheint eine Änderung (zum Zwecke der Kostenreduzierung) durchzuführen wenn 95% der Konsumenten die Änderung nicht merken, sollte man bedenken, dass bei 10 durchgeführten Änderungen dieser Art, 40% den Unterschied schmecken können.

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© 2011 by Raimund Kalinowski