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Streit trotz Vertrag?
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Die allermeisten Streitfälle werden unkompliziert und schnell direkt zwischen den Parteien geregelt. Wenn ein Streit sich nicht so einfach beilegen lässt, dann liegt das meistens daran, dass ein bestimmter Sachverhalt von den Parteien "objektiv" unterschiedlich gesehen wird. Sehr häufig sind Vertags-Formulierungen - nicht nur in der technischen Spezifikation - mangelhaft. Auch wenn es ab einem bestimmten Umfang unmöglich ist, einen Vertrag so auszuführen, dass durch seine durchgängige Eindeutigkeit ein Streit ausgeschlossen ist, macht es trotzdem Sinn unter Berücksichtigung eines vertretbaren Aufwandes einen Vertrag so eindeutig und genau wie möglich zu formulieren. Nachfolgend wird nur der Kaufvertrag im Bereich des Anlagenbaus behandelt, wobei einige Hinweise auch auf andere Verträge anwendbar sind.
objektiv ./. subjektiv
Es gibt lange Abhandlungen über objektive und subjektive Sichtweisen. Die Abbildung ist mit derselben Kamera, vom selben Standpunkt, aber mit 2 verschiedenen Objektiven aufgenommen worden.
Auch wenn mehrere Parteien etwas objektiv sehen, sehen sie vermutlich etwas unterschiedliches, sodass Diskussionen über objektive oder subjektive Sichtweisen unsinnig sind. Bei einem wahren, nicht vorgetäuschten Streit, sind alle beteiligten Parteien aus ihrer Sicht objektiv im Recht.
Objektiv der identische "Rasen", aber durch das 15 mm Objektiv wirkt er anders, als durch das mit 500 mm Brennweite, trotz identischer Kameraposition.
Verträge sind für alle Beteiligten, zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung, aus Sicht der Beteiligten fair; denn niemand wird freiwillig einen Vertrag unterzeichnen, der für ihn negativ oder unfair ist. Wenn ein Vertrag nicht eindeutige oder vom Unterzeichner nicht verständliche Formulierungen enthält, müssen diese vor Vertragsunterzeichnung geändert oder gestrichen werden. Wenn mündlich erläutert wird, wie eine Formulierung gemeint ist, dann kann man sie auch schriftlich im Vertrag so formulieren. Killerphrasen über richtiges Juristendeutsch oder übliche Formulierungen muss man ebenso ignorieren, wie Hinweise auf den Änderungsaufwand oder damit verbundene Verzögerungen. Wer etwas akzeptiert, dass nach seinem persönlichen Sprachempfinden nicht eindeutig das ausdrückt, was dort festgehalten werden soll, handelt bewusst fahrlässig.
Der Wert der AGB
Für den Käufer sind die gesetzlichen Regelungen meist vorteilhafter, als die vom Lieferanten vorgelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen [AGB]. Warum sollte man sich bei einem fairen Vertrag freiwillig ungünstiger stellen, als es der Gesetzgeber vorsieht? Wenn der Lieferant dies sauber und für den Kunden akzeptabel für jede einzelne Abweichung begründen kann, ist gegen Abweichungen von den gesetzlichen Regelungen nichts einzuwenden. Insbesondere eine Haftungsbeschränkung des Lieferanten ist üblich, da der Gesetzgeber vermutlich nicht an komplexe Anlagen gedacht hat, die selten so problemlos in Betrieb gehen, wie man es nach dem Vertrag oder dem Gesetz erwarten könnte.
Bei allen Formulierungen ist die Frage zu beantworten: Wie wird der Vertragspartner oder ein Dritter diesen Wortlaut auffassen?
Formulierungsfehler
Kleinen Kindern sagt man: "Es heißt nicht 'Ich will', sondern 'Ich möchte'". In der Schule bekommt man eine schlechtere Note, wenn man ein und dieselbe Sache immer beim selben Wort nennt; dies wird im Deutschunterricht als Wiederholung mit einem Fehlerpunkt geahndet. Bereits in den unteren Schulklassen werden die Kinder angehalten Adjektive inflationär zu benutzen. Journalisten hingegen lernen: Wenn zwei Adjektive hintereinander stehen, ist mindestens eins überflüssig. Adjektive regen die Phantasie an; das in der Schule gelehrte akademische Deutsch ist die Sprache der Dichter und für Verträge ungeeignet. Journalisten berichten von Tatsachen aus möglichst unterschiedlichen Blickwinkeln, damit der Leser sich eine eigene Meinung bilden kann. Verträge hingegen sollten eindeutig sein und keinen Spielraum für Interpretationen lassen. Formulierungen wie, "erklärt sich bereit", "wird sich bemühen" oder auch "will" erfüllen diese Voraussetzung nicht. Falls Juristen anfangen sich mit diesen Verträgen zu beschäftigen, sind Formulierungen wie: "hat das Recht", "ist verpflichtet", "muss" oder "darf nicht" deutlich eindeutiger, auch wenn dies keine hohe Dichtkunst ist. Ein und dieselbe Sache muss immer mit demselben Wort benannt werden. Passiv Formulierungen wie "es wird versucht werden ..." oder Füllworte wie "hauptsächlich" sind ebenso zu unterlassen wie Einschränkungen von "gegebenenfalls" bis "wenn erforderlich".
In der Regel werden die AGB von (Vertrags-)Juristen sorgfältig erarbeitet. Meist wird der Wert dieser AGB jedoch zu hoch bewertet, wie zahlreiche Gerichtsurteile zeigen. Manchmal prüfen Juristen die individuell verhandelten kaufmännischen Bedingungen. Die technische Spezifikation bleibt jedoch (fast) immer ungeprüft. Aber das zuvor gesagte, können Juristen oder motivierte Nichttechniker auch im Bereich der technischen Spezifikation prüfen und ggf. eindeutiger formulieren.
Falls man eine Anlage nicht vollständig bei einem Lieferanten bestellt, kann es sein, dass der Anlagenbetreiber zum Hersteller gemäß Maschinenrichtlinie wird. Auch wenn es mit Mehrkosten verbunden ist, sollte erwogen werden, die Schnittstellenanzahl auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen und den Vertrag nur mit einem einzigen verantwortlichen Lieferanten zu schließen.
Anfrage=Lastenheft; Angebot=Pflichtenheft
Die Anfrage stellt das Lastenheft dar und sollte deshalb sehr sorgfältig formuliert werden. Hier werden die Anforderungen und insbesondere die Funktionen beschrieben. Sollten sich während der Angebotsphase Anforderungen ändern, wegfallen oder neue hinzukommen, muss das Lastenheft unverzüglich angepasst werden. Das Lastenheft ist nicht ein unbedeutender erster Schritt zur neuen Anlage, sondern die Grundlage für das was geliefert werden soll und sollte auch schriftlicher Bestandteil des Vertrages werden. Protokolle über geführte Verhandlungen inkl. Telefonnotizen und ggf. Gedächtnisprotokolle gehören zur Projektdokumentation. Mangelnder Formalismus geht praktisch immer zu Lasten desjenigen, der später einen Sachverhalt beweisen muss. In Streitfällen, die vor Gericht entschieden werden, verliert mit etwa 80%-iger Wahrscheinlichkeit derjenige, der beweispflichtig ist. Eine Verhandlung zu führen und gleichzeitig ein Protokoll zu erstellen, können nur sehr wenige. Es ist unverständlich warum die Protokollführung so unbeliebt ist; denn der Protokollführer wählt Formulierungen, fasst Aussagen zusammen und stellt Sachverhalte fest, die später eminent wichtig sein können. Änderungswünsche in Protokollen beschränken sich meist auf offensichtliche Fehler, sodass das genehmigte Protokoll in der Regel die Sicht durch das "Objektiv" des Erstellers abbildet. Nach VDI-Richtlinie 2519 Blatt 1: "Das Pflichtenheft ist die Beschreibung der Realisierung aller Kundenanforderungen, die im Lastenheft gefordert werden." Das heißt, das Angebot ist das Pflichtenheft. Im späteren Vertrag müssen Lastenheft (Anfrage) und Pflichtenheft (verhandelte Angebotsspezifikation) genannt werden, da die Detailkonstruktion zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung in der Regel nicht abgeschlossen ist und die im Lastenheft geforderte Funktion immer im Zusammenhang mit der technischen Lösung gesehen werden muss.
- Auftragsverhandlung ≠ Preisverhandlung
- Lieferanten denken häufig, dass es bei einer Vergabeverhandlung primär um den Preis geht. In den allermeisten Fällen ist der Preis aus Sicht des Kunden nicht der wichtigste Punkt der Vergabeverhandlung. Dies ist aber nicht der einzige Fehler, den Lieferanten regelmäßig begehen. Fair ist es, Zahlungsziele immer nach Abschluss einer Leistung zu wählen, d.h. "Meldung der Versandbereitschaft frühestens jedoch am ..." und nicht "bei Lieferung", "bei Montageende" und nicht "bei Inbetriebnahme" und "bei Inbetriebnahmeende die spätestens bei Produktionsaufnahme erreicht ist" und nicht "bei Abnahme", da sich Lieferung, Inbetriebnahme oder Abnahme verzögern können, ohne dass der Lieferant dies zu verantworten hat. Die gesetzlich mit der Abnahme verbundenen Folgen wie Gewährleistungsbeginn oder Gefahrenübergang sollten durch klar formulierte vertragliche Vereinbarungen geregelt werden. Generalklauseln wie z.B. der Stand der Technik sollten eindeutig formuliert und definiert werden. Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit [http://hdr.bmj.de/page_b.4.html] kann hierbei hilfreich sein. Der Gerichtsstand und eine obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung werden meist in den ABG genannt, aber nicht individuell vereinbart. Die Risiken und Chancen einer Schiedsgutachterabrede oder Schiedsgerichtsklausel sollten sorgfältig abgewogen werden. Auch eine Mediationsklausel kann gegenwärtig nicht empfohlen werden, da das LG Heilbronn [Az.: 4 O 259/09] hier eine überraschende Rechtsauslegung vertreten hat [siehe auch: http://guetestellenverband.org/downloads/27_juni_2011.pdf]. Eine Klausel, dass vor Anrufung eines staatlichen Gerichts (inkl. eines selbständigen Beweisverfahrens) ein Verfahren vor einer staatlich anerkannten Gütestelle zu beantragen (oder durchzuführen) ist, gewährleistet zum einen die Verjährungshemmung und zum anderen weiß die andere Partei "nun wird es ernst". Häufig trifft die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens den Antragsgegner überraschend. Falls nur die Beantragung eines Gütestellenverfahrens im Vertrag vereinbart wird, erhält der Antragssteller 6 Monate Verjährungshemmung (für eine extrem geringe Gebühr) und der Antragsgegner muss dem Verfahren nicht zu stimmen. Falls die Durchführung eines Gütestellenverfahrens vereinbart wird, sollte auch eine minimale Verhandlungsdauer (üblich sind hier 3 oder 4 Stunden) festgeschrieben werden, damit nicht eine Partei das Verfahren direkt nach der Eröffnung abbrechen kann. Diese Mindestverhandlungsdauer hat sich z.B. in Großbritannien bewährt.
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- Auftragsverhandlung = Bestellung = Auftragsbestätigung
- Was in der Vergabeverhandlung als Kaufvertrag festgelegt wurde, wird häufig als Bestellung an den Lieferanten geschickt, der diese durch eine schriftliche Auftragsbestätigung akzeptiert. Falls der Lieferant eine Auftragsbestätigung verschickt, die nicht nur die Bestellung inhaltlich bestätigt oder Abweichungen auflistet, muss sie inhaltlich vollkommen identisch mit der Bestellung sein; Abweichungen dürfen nur akzeptiert werden, wenn sie unzweifelhaft akzeptabel sind. Abweichungen aus Zeitmangel akzeptieren zu müssen, ist eine unwürdige Ausrede. Nicht nur bei umfangreicheren Anlagen ist es empfehlenswert vor dem Lasten- und vor dem Pflichtenheft eine Präambel zu formulieren. Hier werden allgemeinverständlich Motive, Absichten und Zwecke der Vertragspartner dargestellt.
- Fazit
- Einen guten Vertrag auszuarbeiten ist sicherlich nicht einfach, aber lohnenswert, da hierdurch Streit vermieden oder reduziert werden kann. Die hier vorgestellten Details können helfen einige Fehler zu vermeiden und Verträge aus der Sicht von Kunden und von Lieferanten fairer zu gestalten. Eindeutige Formulierungen, die keinen Interpretationsspielraum lassen, sauber formulierte und gepflegte Kundenanforderungen (Lastenheft) und Verständnis für den Vertragspartner reduzieren das Streitpotenzial. Die Hilfe eines unparteiischen Dritten wie Richter oder Sachverständiger wird in der Regel erst im Streitfalle in Anspruch genommen. Ein Sachverständiger oder ein Berater muss in der Angebotsphase nicht zwangsläufig für nur eine Partei tätig sein, sondern kann auch alle Parteien dabei unterstützen einen Vertrag zu bekommen, der ihren Interessen entspricht, wobei es bei größeren Vorhaben sinnvoll sein kann, dass dieser unparteiliche Dritte auch die Bauphase begleitet. Leider werden der Stolz, die Selbstüberschätzung oder unerfüllbare Erwartungen der Beteiligten diese Vorgehensweise trotz ihrer unübersehbaren Vorteile in der Regel ausschließen.
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