Ist die Membran-Cross-Flow-Filtration der Tod des Kieselgurfilters?
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Wenn eine Brauerei 5 oder 10 Euro pro Hektoliter Bierausstoß für Werbung ausgibt, weiß sie seit Henry Ford, dass die „Hälfte“ davon nutzlos hinausgeworfen wird. Aber sie weiß weder welche Hälfte es ist, noch welches die „größere Hälfte“ ist. Bei einigen Werbefeldzügen hat man den Eindruck, sie wären seit 100 Jahren unverändert und bei anderen weiß man nach 20 Sekunden nicht mehr, für welche Biermarke gerade geworben wurde. Erreicht die Werbung trotzdem ihr Ziel? Sollte man als Techniker deshalb neidisch sein oder den bedauern, der nicht weiß ob seine Anstrengungen erfolgreich sind? In der Technik ist der Erfolg messbar. Und wenn man den Erfolg nicht kontrollieren kann, dann macht es doch wenig Sinn sich anzustrengen? Die Kollegen aus der Werbung machen nur einen so fröhlichen Eindruck, da sie ja nicht den ganzen Tag heulend in der Ecke sitzen können, weil ihnen die Erfolgserlebnisse fehlen.
Techniker oder Prophet?
Das Budget für Investitionen in die Technik ist in vielen Brauereien überschaubarer, als das Werbebudget. Da das Ergebnis überprüfbar ist, ist es nicht akzeptabel, wenn ein nennenswerter Anteil des Technikbudgets suboptimal ausgegeben wird. Ob eine Investition sinnvoll ist, wird aber erst die Zukunft zeigen. Wer 1972 einen Gärkeller plante und sich für liegende Tanks entschied, lag ebenso falsch wie der, der Zylindrokonische-Gärtanks anschaffte, aber nicht in der Lage war die Gärführung der geänderten Technik zeitnah anzupassen, und deshalb zu lange ein sehr „distinguiertes“ Bier produzierte, dass die Konsumenten erschreckte und vertrieb.
Muss der Techniker deshalb etwas von einem Propheten haben? Sicherlich kann es nicht schaden, ein wenig in die Zukunft schauend zu denken. Man sollte sich aber davor hüten populärpolitischen Aussagen und Prognosen zu folgen, sondern sich eine eigene, sachlich abgesicherte Meinung bilden. Es gilt als sicher, dass auf eine Klimaerwärmung auch irgendwann eine neue Eiszeit folgen wird, aber der neue Filterkeller einer Brauerei wird beides kaum verzögern oder beschleunigen [Anm.: Paläoklimatologen ordnen die Gegenwart in eine noch andauernde Eiszeit ein]. Wer Horrorszenarien über die zukünftige Entsorgungsproblematik von Kieselgurschlamm verbreitet oder vor tödlichen Gefahren durch Cristoballit warnt, hat möglicherweise ein persönliches Interesse daran ein bestimmtes Produkt zu diskreditieren, damit sein eigenes Produkt schön gerechnet werden kann. Übrigens war Asbest ein fester Bestandteil der Filter-Masse und wurde bis in die 1980-er auch bei der Kieselgurfiltration regelmäßig zugesetzt. Aber weder bei Biertrinkern noch bei Brauern wurde deshalb ein erhöhtes Risiko beobachtet an Lungenkrebs zu erkranken.
Die höchste Wahrscheinlichkeit das korrekte Wetter von morgen voraussagen erreicht man, wenn man behauptet, das morgige Wetter würde genauso wie das heutige. So wie das Wetter sich selten von heute auf morgen drastisch ändert, wird die Technik die heute richtig ist, doch auch sicherlich morgen nicht vollkommen falsch sein? Beim Wetter erreicht man etwa eine 75%-ige Trefferquote; für eine Entscheidung in die zukünftig zu verwendende Technik ist dieser Prozentsatz aber zu gering.
Um die richtige Entscheidung für die Zukunft zu treffen, kann man Propheten oder Astrologen vertrauen; aber häufig ist es sinnvoller, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, denn man muss nicht unbedingt jeden Fehler selber begehen, um davon zu lernen. Die Erkenntnis, dass etwas in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, ist aber vollkommen wertlos, wenn man nicht weiß, warum es damals nicht funktioniert hat.
Entwicklungsrückblick
Als vor gut 100 Jahren die Filtration ihren Weg in die Brauereien fand, galt es zunächst den schwankenden Trübungsgrad im Verkaufsbier zu eliminieren. Insbesondere die Kontamination mit Fremdhefen und ungleichmäßige Lagerbedingungen führten zu erheblichen Trübungsspannbreiten, die der Konsument als Qualitätsschwankungen wahr nahm. Brauereien, die ihre Produktion im Griff hatten und durch sauberes Arbeiten und eine lange und sehr kalte Lagerung gleichmäßig gut geklärte Biere in den Verkauf brachten, dachten zunächst, dauerhaft auf die Filtration verzichten zu können.
Da ein sehr gut geklärtes Bier beim Konsumenten für hohe Qualität stand, sahen die filtrierten Biere für ihn nach einer noch höheren Qualität aus. Auch gegen ihre Überzeugung schafften praktisch alle Brauereien bald eine Filtration an. Die Anforderungen waren aus heutiger Sicht sehr gering, denn es ging primär um den optischen Eindruck zum Zeitpunkt der Abfüllung. Die biologische Haltbarkeit nahm durch die Filtration hingegen nicht zu, sondern da z.B. die Kultur-Hefen nun fehlten, konnten Bakterien, die die Filter ungehindert passierten, ungehemmt sich im filtrierten Bier vermehren. Von den meisten Brauereien wurde bis in die 1980-er Jahre eine Haltbarkeit von 6 Wochen als vollkommen ausreichend angesehen.
Die ersten Filtrationen arbeiteten mit Papierfiltern, die aber aus Kostengründen bald von Massefiltern abgelöst wurden. Aus Gründen der besseren Bedienbarkeit setzten sich Massefilter mit vertikaler Anordnung der Filterelemente durch. Bereits vor dem ersten Weltkrieg praktizierten zahlreiche Brauereien die doppelte Massefiltration, wobei Vor- und Nachfilter sich nach der Regeneration eines Filters abwechselten. Eine „Karussellbetriebsweise“ (engl.: merry-go-around) mit 3 Massefiltern war in Großbetrieben üblich. Durch die gepressten Filterkuchen war der Massefilter sehr betriebssicher und weder Druckschwankungen noch große CO2-Blasen durch einen eingezogenen Tank (Lagerfass) wurden zu einem echten Problem. Der manuelle Aufwand für das Regenerieren (Waschen, Sterilisieren, Pressen) war erheblich; pro 1 kg trockener Masse rechnete man außerdem mit 1,5 - 2,5 hl Waschwasser und 10 kg Dampf zum Sterilisieren.
Bereits sehr früh erkannte man, dass die (Masse-)Filtration kein rein mechanischer Siebvorgang ist und das einige Bierbestandteile adsorbiert werden. Die Stärke der Adsorption war aber primär abhängig von der eingesetzten Masse und kaum vorhersehbar. De Clerck meinte 1964 hierzu: „Aber ein idealer Filter müßte eine nach Wunsch regelbare Sieb- und Adsorptionswirkung haben.“ Dieser Satz ist sicherlich auch heute noch gültig.
1935 wurden in England die ersten Kieselgurfilter installiert. Insbesondere US-amerikanische Brauereien installierten bald Kieselgurfilter als Vor-Filter, d.h. einem Kieselgurfilter folgte ein Massefilter.
In jüngerer Vergangenheit gab es „zaghafte“ Überlegungen die Massefiltration durch heute verfügbare Techniken zu modernisieren und dabei die alten Nachteile zu eliminieren. Aber auch Versuche mit Kieselgurersatzstoffen, wie z.B. Zellulose, werden von den meisten Herstellern inzwischen kaum weiterverfolgt.
Übrigens gab es auch vor dem ersten Weltkrieg bereits Kieselgur in der Brauerei; sie wurde als Dämmstoff von Sudgefäßen verwendet.
Zentrifugen
Bereits um 1900 machte man (erfolglos) Versuche, mit Hilfe von Zentrifugen die Bierklärung zu verbessern. 1939 wurde in Schweden erfolgreich eine Zentrifuge zur Vorklärung vor dem Masse-Filter eingesetzt. Anfang der 1970-er Jahre wurde die erste selbstaustragende geschlossene Zentrifuge zur Jungbierklärung in Deutschland eingesetzt. Die Hefezellzahl wurde hier auf etwa 2 Mio. Zellen/ml im Lagertank eingestellt. Die Sauerstoffaufnahme durch Lufteintritt während des Abschlammens war jedoch noch erheblich. Zur Jahrtausendwende wurden moderne Zentrifugen zur Jungbierklärung installiert. Wobei die im Jungbier verbliebenen Hefezellzahlen auf 100.000 Zellen/ml abgesenkt wurden. Die Standzeit der Kieselgurfilter wurde wider Erwarten durch die Installation dieser Zentrifugen nicht erhöht und auch die notwendige Kieselgurmenge konnte nicht reduziert werden, da Eiweiß-Gerbstoffverbindungen den Filter verlegten; deshalb wurde die Zellzahl während der Reifung wieder deutlich erhöht, um eine akzeptable Kieselgurfiltration zu erhalten.
Membranfiltration
Mitte der 1980-er Jahre wurden erste Versuche mit einer Cross-Flow-Membranfiltration durchgeführt. Ungeeignete Membranen führten zu einem Aufhellen des Bieres und einem erheblichen Verlust der Schaumhaltigkeit. Auch die Weiter-Behandlung des Retentats war zunächst wenig durchdacht.
Änderung der Anforderung
Die Erfolge einer schnell wachsenden Brauerei führten dazu, dass etwa ab 1980 zahlreiche Brauereien versuchten eine Interpretation deren Konzeptes zu kopieren. Ziel war es nun nicht mehr, dass das Bier den markentreuen Kunden schmeckt, sondern dass möglichst niemand den Geschmack des erzeugten Bieres ablehnt. Biere wurden deshalb stetig neutraler und weniger bitter. Die dadurch erreichte Austauschbarkeit der Biere führte dazu, dass der Einfluss der großen Handelsketten auf die zu erzeugenden Biere stieg. Die Zeit, die ein Bier heute braucht, um von der Abfüllung zum Konsumenten zu gelangen, unterbot man im Jahre 1900 bereits mit Pferdefuhrwerken.
Nur wenn ein Mindesthaltbarkeitsdatum in weiter Ferne liegt, fängt der Kunde nicht an, im Markt nach einem vermeintlich frischeren Produkt zu suchen. Die meisten Brauer haben den Anspruch ein Bier zu produzieren, das auch am letzten Tage des aufgedruckten MHD noch den gesetzlichen Bestimmungen genügt, obwohl vermutlich über 99% des Bieres deutlich vor erreichen des MHD getrunken wird. Bei z.B. mit Aspartam gesüßten Getränken nehmen Hersteller es in Kauf, dass das aufgedruckte MHD frei erfunden ist und mit der tatsächlichen Haltbarkeit nichts zu tun hat, solange die „Markterwartungen“ erfüllt werden und Reklamationen verschwindend gering bleiben. Bier hingegen wird vom Handel als Dauerkonserve angesehen. Es ist zu erwarten, dass die erwarteten MHD eher steigen als sinken werden. Ebenfalls wird der Bitterstoffgehalt weiter sinken und die Erwartung der Kostenrechner wird weiter steigen.
Cross-Flow Filtration
Moderne Cross-Flow-Filtrations-Anlagen nehmen für sich in Anspruch weniger Energie und Wasser als vergleichbare Kieselgurfilter zu verbrauchen, weniger Produktverluste zu verursachen und eine Sauerstoffaufnahme während der Filtration sicher auszuschließen. Dass eine „vergleichbare Kieselgurfiltration“ demnach einen Separator vor dem Kieselgurfilter beinhaltet, und dass die Elimination von CO2-Verlusten ausgelobt wird, soll hier nicht kommentiert werden.
Fazit
In der Regel wird eine neue Filtrationsanlage eine vorhandene Filtration ersetzen. Üblicherweise wird eine Eiweiß- und eine Gerbstoffstabilisierung durchgeführt, um eine dem MHD entsprechende colloidale Stabilität zu erreichen. D.h. die von De Clerck geforderten Stellschrauben sind gegenwärtig vorhanden.
Wenn ich die Kirschen im heimischen Garten preislich mit japanischem Luxusobst vergleiche, dann ist der Eigenanbau sehr wirtschaftlich; bei einer Vollkostenrechnung der Eigenerzeugung und einem Vergleich zu Biokirschen vom Obst- und Gemüsefachgeschäft sieht das Ergebnis jedoch anders aus; aber wer berechnet schon seine eigene Arbeitszeit, eigentlich müsste man das eingesparte Fitnessstudio dagegen rechnen? Der Wahlspruch eines bekannten Managers war: „Wenn du ein Spiel nicht gewinnen kannst, dann ändere die Regeln!“
Brauchen wir tatsächlich alle ganz schnell batteriebetriebene Elektroautos, weil die Ölquellen morgen aufgebraucht sind und muss man tatsächlich sofort die Kieselgurfiltration durch eine Cross-Flow-Anlage ersetzen? Gegenwärtig scheint ein Umbruch statt zu finden. Wer gegenwärtig Filtrationskosten in der Größenordnung hat, die für die Cross-Flow-Filtration ausgelobt werden, sollte zunächst seine gegenwärtige Arbeitsweise prüfen (lassen) und Optimierungspotenziale nutzen.
Hersteller-Garantien machen nur Sinn, wenn man der Überzeugung ist, dass der Garantiefall vermutlich nicht eintritt, wenn die Garantiebedingungen vollständig nachvollziehbar und uneingeschränkt akzeptabel sind und wenn klar festgelegt ist, was passiert, wenn die Garantien nach einer bestimmten Zeit/Filtrationsmenge nicht erreicht werden.
Es ist ratsam die Entscheidung für oder gegen ein System nach technisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten für seinen Betrieb zu treffen. Propheten und Politiker sind hierbei meist schlechte Ratgeber und Musterrechnungen zeigen in der Regel das „Muster“ des Erstellers. Die Analyse der heutigen eigenen Arbeitsweise ist meist der erste sinnvolle Schritt, bei dem externe Hilfe erforderlich sein kann.