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Alles geregelt, da NORM?
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Da mietet man sich einen als äußerst ergonomisch hochgelobten Golf am Flughafen in London und stellt fest, dass die Heizung und Lüftung vom Beifahrersitz aus einfacher als vom Fahrer zu bedienen ist. Die Stütze für den Kupplungsfuß wurde spiegelbildlich angebracht, sodass man dort nun den Gas-Fuß absetzen könnte. Wäre es dann nicht konsequent gewesen, gleich die Anordnung der Pedale zu spiegeln? Glücklicherweise wird die Kreativität der Autobauer dort eingeschränkt und auch beim rechtsgelenkten Auto bleibt das Gaspedal rechts. Das war übrigens nicht immer so, die heute noch gebräuchliche Anordnung der Pedale wurde erst im Rahmen der Vorbereitungen für den ersten Weltkrieg vom Einkauf des deutschen Militärs für Lastkraftwagen festgelegt.
Wunsch nach Normen?
Normen entstehen in der Regel als Kompromiss nach langen Diskussionen [Zitat des Deutsches Institut für Normung e.V.: „Das DIN erarbeitet gemeinsam mit rund 28.000 Vertretern der interessierten Kreise konsensbasierte Normen und Standards … .“].
Die Norm DIN 11866:2008-01 [Rohre aus nichtrostendem Stahl für Aseptik, Chemie und Pharmazie - Maße, Werkstoffe] listet 20 „normative Verweisungen“ mit dem Hinweis: “Die folgenden zitierten Dokumente sind für die Anwendung dieses Dokuments erforderlich.“ Die insgesamt 14-seitige [inkl. informativem Anhang] DIN 11866 kostet beim Beuth Verlag 64,10 Euro, wenn man die weiteren „erforderlichen“ Dokumente kauft, muss man mit Kosten von über 1.000,- Euro rechnen. Neben den Kosten, schreckt vermutlich auch der Aufwand ab, solch eine Norm inkl. der Verweise durchzuarbeiten. Man vertraut darauf, dass die Vertreter der interessierten Kreise im Normenausschuss ihre Arbeit gewissenhaft durchgeführt haben und alle notwendigen Details, die man unter der Überschrift erwartet, eindeutig in der Norm geregelt sind. Dass die DIN 11866 für nahtlose und für geschweißte Rohre gilt, mag überraschen.
In der Getränkeindustrie ist es gegenwärtig üblich „längsnahtgeschweißte Rohre mit geglätteter Schweißnaht nach DIN 11850“ zu bestellen, wobei die DIN 11850 inzwischen durch die DIN EN 10357:2014-03 [Austenitische, austenitisch-ferritische und ferritische längsnahtgeschweißte Rohre aus nichtrostendem Stahl für die Lebensmittel- und chemische Industrie] ersetzt wurde. Der wichtigste praktische Vorteil der Rohre nach DIN 11866 ist vermutlich, dass die Rohre grundsätzlich eine Wärmebehandlung bei festgelegten Temperaturen von über 1000°C bekommen.
Das wahre Leben
Wenn man die Kataloge der führenden Lieferanten durchsieht, stellt man fest, dass z.B. 90°-Rohr-Bogen und andere Rohrformstücke häufig nicht normgerecht angeboten werden. Die Bezeichnung „für DIN 11850“ bedeutet, dass dieses Rohrformstück vorgesehen ist, an ein Rohr nach DIN 11850 angeschweißt zu werden, selber aber nicht normgerecht gefertigt wurde.
Der normale Endkunde ist in der Regel damit überfordert alle für ihn relevanten Normen inhaltlich zu kennen und die Entwicklung der Normen zu verfolgen. Auch wenn der Inhalt der Normen bekannt ist und die anzuwendenden Normen bei einer Bestellung spezifiziert werden, so kann man zwar die mitgelieferte Dokumentation und evtl. die Bauteilkennzeichnung prüfen, aber die Prüfung der Bauteile z.B. am (gestrahlten) Ventilknoten, der vom Füllerlieferanten geliefert wurde, ist mit einem vertretbaren Aufwand unmöglich.
Bei identischer erwarteter Leistung, d.h. häufig bei identischer Spezifikation, entscheidet in der Regel der Preis darüber wer den Auftrag bekommt, das kann bedeuten, dass der Bauteilhersteller, der zum selben Konzern wie der Anlagenbauer gehört, die vom Anlagenbauer verwendeten Bauteile nicht liefern darf, weil der Einkäufer eine „günstigere, gleichwertige“ Lieferquelle gefunden hat.
Lastenheft wichtigster Vertragsbestandteil
Obwohl ein umfangreiches Vertragswerk mit Nennung aller relevanten Normen vereinbart wurde, kommt es im Reklamationsfall regelmäßig zur gerichtlichen Auseinandersetzung, da der Lieferant meint vertragskonform geliefert zu haben und der Kunde erwartet, den Kaufgegenstand für den von ihm vorgesehenen Zweck uneingeschränkt nutzen zu können.
Wenn bei früheren Bestellungen Normen im Bestelltext genannt wurden, lieferte der langjährige Lieferant regelmäßig nicht nach dem Wortlaut der Bestellung, sondern nach dem was vom Kunden erwartet bzw. vom Kunden benötigt wird. Heute werden Bestellspezifikationen auch an mögliche Vorlieferanten weitergegeben, die weder den Endkunden noch seine Erwartungen kennen, sodass das „Bestellte“ und nicht das „Gewohnte/Gewollte“ geliefert wird. Aus diesem Dilemma kommt der Besteller nur heraus, wenn er seine Anforderungen klar spezifiziert. Normen können ein Lastenheft häufig ergänzen aber selten ersetzen.
Getränkeleitungsrohr
Wenn nichts anderes vereinbart wurde, werden Anlagenbauer nach den anerkannten Regeln der Technik „Getränkeleitungsrohr“ nach DIN 11850 längsnahtgeschweißt mit geglätteter Schweißnaht einsetzen. Dieses Rohr wurde üblicherweise im Tauchbad passiviert und es wurde keiner Wärmebehandlung unterzogen. Die üblichen Beständigkeitstabellen berücksichtigen in der Regel diesen Umstand. Durch die Kaltumformung vom Blech zum Rohr wird Austenit zum Teil in Martensit umgewandelt, wobei sich die Korrosionseigenschaften verschlechtern. Der Werkstoff 1.4435 (der Standardwerkstoff bei Rohr nach DIN 11866 wird gemäß DIN 11866 grundsätzlich wärmebehandelt) neigt weniger zur Bildung von Martensit durch die Kaltverformung, als die geringer legierten Werkstoffe wie z.B. 1.4301.
Die vorgenannten Werkstoffnummern sucht man bei vielen Lieferanten vergeblich, hier werden meist die Bezeichnungen des American Iron and Steel Institute [AISI] wie 304 oder 316L verwendet. Die Toleranzen bei diesen alten Normen sind relativ groß. So umfasst AISI 316L unter anderem die Werkstoffe 1.4404 und 1.4435.
Korrosionsneigung
Die Bilder stammen von aufgesägten 90° Rohrbögen, die aus AISI 316L für DIN 11850 beim selben Lieferanten bestellt wurden, d.h. sie wurden nicht nach DIN 11852 gefertigt.
Der Bestelltext war identisch, jedoch wurde einmal die Variante BC und einmal die Variante CC bestellt. Bei der Variante BC handelt es sich um Bögen, die aus wärmebehandeltem Rohr hergestellt werden, so wie es auch die DIN 11852 vorschreibt, bei der Ausführung CC wird hingegen Rohr ohne Wärmebehandlung zur Herstellung der Bögen verwendet. Durch die zweifache Kaltverformung ohne zwischengeschaltete Wärmebehandlung der Ausführung CC, wird die Bildung von Martensit und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Korrosionsbeständigkeit sich verringert, größer. Ein Rohrbogen aus höherlegiertem Edelstahl rostfrei der unsachgemäß in der Ausführung CC gefertigt wird, ist eigentlich ein Paradoxon.
Die unterschiedliche Ausführung der Rohrlängsnaht (Abb. 1 bis Abb. 4) lässt vermuten, dass die Rohre, aus denen die Bögen gefertigt wurden, von verschiedenen Herstellern stammen. Die Werkstoffzusammensetzung der Rohrbögen wurde nicht geprüft. Bei den Rohrbögen, die aus wärmebehandeltem Rohr gefertigt wurden, fällt eine Schuppenstruktur der Schweißnaht auf (Abb. 05), die offensichtlich von der Schweißnahtglättung stammt.
Mit einer NaOH-Lösung mit steigender Konzentration, mit steigender Temperatur, steigendem Chloridgehalt, steigendem Anteil von Produktresten und zunehmender Einwirkungsdauer wurde Korrosion erzeugt. Die Prüfmuster waren bei diesen Versuchen etwa zur Hälfte in der Prüfflüssigkeit eingetaucht. Die Versuche wurden abgebrochen, nachdem 20% der Prüfmuster makroskopisch sichtbare Korrosion zeigten.
Die Anzahl der Prüfmuster und das Ergebnis lassen keine statistisch abgesicherte Aussage zu. Korrosion konnte sowohl an den BC als auch an den CC-Ausführungen erzeugt werden. Korrosion an der Rohrlängsnaht konnte nur an den CC-Ausführungen festgestellt werden. Das dies an der fehlenden Wärmebehandlung liegt, wäre aber reine Spekulation, da andere mögliche Einflüsse bis hin zur Werkstoffzusammensetzung nicht untersucht wurden. Es ist jedoch überraschend, dass es Muster gibt, bei denen die Schweißnaht korrodierte oder Muster bei denen die Rohraußenseite (Abb. 06), aber nicht die Rohrinnenseite Korrosion zeigte.
Abgedruckte Beständigkeitslisten beruhen üblicherweise auf Korrosionsversuchen die mit einzelnen reinen Substanzen durchgeführt wurden; dies ist jedoch praxisfern, da eine Reinigungslösung immer auch z.B. Produktreste enthält.
Tiefgezogenes Rohr sinnvoll?
In der pharmazeutischen Industrie wird bevorzugt tiefgezogenes statt längsnahtgeschweißtes Rohr verwendet. Natürlich kann man hierdurch verhindern, dass unsachgemäß gefertigtes längsnahtgeschweißtes Rohr im Bereich der Schweißnaht korrodiert oder im Nahtbereich sonstige Fehler aufweist. Aber wäre eine Ursachenanalyse und Ursachenbekämpfung nicht sinnvoller? Bei einem fehlerfrei gefertigten längsnahtgeschweißtem Rohr sollte die Längsnaht dieselben Korrosionseigenschaften aufweisen, wie der Rest des Rohres. Tiefgezogene Rohre weisen in der Regel fertigungsbedingt eine deutlich höhere Innenrauigkeit auf als längsnahtgeschweißte Getränkeleitungsrohre.
Die Verfahrensweisen und die Philosophie in der pharmazeutischen Industrie unterscheiden sich deutlich von denen in der Getränkeindustrie. Z.B. versucht man dort durch eine vollständige Restentleerung mikrobiologisches Wachstum zu verhindern. Der Aufwand hierfür ist nicht nur bei Kreiselpumpen erheblich. In der Getränkeindustrie bleibt hingegen die Rohrleitung nach den anerkannten Regeln der Technik nach der Reinigung vollständig gefüllt und unter Druck stehen, um eine Kontaminationen von außen sicher zu verhindern.
Fazit
Um das Gewünschte tatsächlich geliefert zu bekommen, ist immer die Anfertigung eines Lastenheftes empfehlenswert. Nach Normen zu bestellen, deren Wortlaut man nicht kennt, ist fahrlässig. Eine unfachmännische Verarbeitung durch höherwertige Werkstoffe zu kompensieren ist ein interessanter, wenn auch recht paradoxer Denkansatz. Da solch paradoxe Bauteile von fast allen Lieferanten angeboten werden, scheint es hierfür entweder einen Markt zu geben oder die Käufer verstehen nicht, was sie kaufen oder die fachmännische (normgerechte) Verarbeitung ist überhaupt nicht erforderlich? Eine wissenschaftliche Arbeit die die Anwendung in der Getränkeindustrie in den Vordergrund stellt, würde sicherlich viele offene Fragen zur sinnvollen Ausführung von Rohren und Rohrformstücken beantworten und eine hohe Aufmerksamkeit bekommen.
Abb. 01 Ausführung CC
Abb. 02 Ausführung CC, Detail
Abb. 03 Ausführung BC
Abb. 04 Ausführung BC, Einschlüsse
Abb. 05 Ausführung BC, Schuppenstruktur durch Schweißnahtglättung
Abb. 06 Ausführung BC, Rohraußenseite, Korrosion am Flüssigkeitsspiegel
Abb. 07 Ausführung CC, Schweißnahtkorrosion
Abb. 08 Detail von Abb. 07
Abb. 09 Ausführung CC, Schweißnahtkorrosion
Abb. 10 Detail von Abb. 09
Abb. 11 Ausführung CC, Korrosion am Flüssigkeitsspiegel
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