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Raimund Kalinowski

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Bewertung besonders langlebiger Maschinen und Anlagen

Eine Auftraggeberin1 sollte immer die Qualität einer gelieferten Bestellung beurteilen können. Dieser Beitrag soll dabei helfen, einen Bewertungsauftrag zu formulieren, eine Bewertung zu beurteilen und einen geeigneten Gutachter zu finden.

Ein Auto, das nicht fährt, ist überhaupt nichts wert, reimte Karl Valentin; aber ist die Wertbestimmung tatsächlich so einfach? Wenn man an einen Gutachter gerät, der konsequent vorgegebenen Regeln folgt, wird man meist nicht mit dem Bewertungsergebnis zufrieden sein. Auch wenn einige die simpelste Automatisierung inzwischen als künstliche Intelligenz bezeichnen, ist es derzeit ‑ auch mit maximalem Aufwand ‑ nicht möglich, die Bewertung von komplexen Maschinen und Anlagen zu automatisieren.

Man kann den Unterschied zwischen dem Wert und dem Preis einer Sache philosophisch oder auch pragmatisch betrachten; denn der Wert entspricht häufig nicht dem Preis, der für eine Sache verlangt oder angeboten wird. Der Betrachtungspunkt bestimmt entscheidend den Wert und wird deshalb bei einem Wertgutachten als Zweck des Gutachtens zusammen mit dem Bewertungsstichtag immer zuerst festgelegt. Je nach Bewertungszweck kann es z.B. sinnvoll sein den »Verkehrswert bei Demontage« oder den »Zeitwert bei Fortführung des Betriebes an der vorhandenen Stelle« zu bestimmen.

Die Ergebnisse von Bewertungen scheinen regelmäßig kaum nachvollziehbar zu sein, möglicherweise weil sie häufig nicht nachvollziehbar sind.

Bildet das Anlagevermögen in einer Unternehmensbilanz den Verkehrswert ab? Die Ermittlung des Bilanzwertes erfolgt nach Regeln, die ungeeignet sind den Wiederbeschaffungswert, den Zeitwert oder den Verkehrswert einer Sache mit akzeptabler Genauigkeit abzubilden. Der Bilanzwert hat deshalb selten etwas gemeinsam mit dem Preis, der für eine Sache bezahlt wird.

Begriffsdefinitionen

Die nachfolgenden Definitionen werden zur besseren Verständlichkeit sehr vereinfacht dargestellt. Der »Anschaffungswert« ist der Preis, der tatsächlich für eine Sache bezahlt wurde, d.h. er beinhaltet Montage und Inbetriebnahme, das Verhandlungsgeschick von Käufer und Verkäufer, ebenso wie die Marktsituation zum Zeitpunkt des Kaufes. Zum Zeitpunkt des Kaufes entspricht der Anschaffungswert dem »Neuwert«, sofern keine einmaligen Effekte wie z.B. Inzahlungnahmen oder Provisionen enthalten sind. Wenn z.B. eine kundenspezifisch gefertigte Maschine wegen Insolvenz der Bestellerin nicht abgenommen wird und deshalb mit hohem Preisabschlag verkauft wird, ist dies auch ein einmaliger Effekt. Wenn nach 10 Jahren eine Sache bewertet wird, wird der Neuwert nicht mehr dem Anschaffungswert entsprechen. Der Versuch, mit Hilfe der Daten des statistischen Bundesamtes auf Grundlage des ehemaligen Anschaffungswertes den Neuwert am Bewertungsstichtag zu errechnen, wird fast immer zu einem deutlichen Fehler führen. Der Neuwert ist der Preis inkl. aller Nebenkosten, den man für eine identische fabrikneue Maschine oder Anlage am Bewertungsstichtag tatsächlich bezahlen müsste. Wenn Anschaffungszeitpunkt und Bewertungsstichtag nicht eng beieinander liegen, wird man häufig eine identische Maschine nicht mehr fabrikneu kaufen können. Man bestimmt dann den Wert einer fiktiven neuen Maschine, die ein identisches Arbeitsergebnis liefert. Bei Serienmaschinen einfach eine vermeintliche Nachfolgemaschine anzunehmen, die z.B. eine höhere Ausbringung aufweist, ist fachlich meistens falsch. Autos sind als Beispiel regelmäßig sehr anschaulich, ein VW Polo VI ist platz- und leistungsmäßig einem Golf III überlegen, d.h. um einen Golf III zu bewerten, wäre der Neuwert des Golf VIII ungeeignet, sondern der Wert des Polo VI als Grundlage zu nehmen und um wertbestimmende Ausstattungsdetails zu bereinigen, d.h. der fiktive Neuwert eines Golf III wäre niedriger als der Neuwert eines Polo VI.

Der »Restwert« würde zutreffender als »verbleibender Wert« bezeichnet; denn er ist der Wert, der nicht mehr nennenswert vom Alter beeinflusst wird. Nur wenn eine Maschine nicht mehr produktiv eingesetzt werden kann, entspricht der verbleibende Wert dem Verwertungswert (=Schrottwert). Solange eine Maschine produktiv eingesetzt wird oder werden könnte, hat sie in der Regel noch einen erheblich höheren Wert als den Schrottwert.

Der »Zeitwert« sollte zutreffender als »reeler Wert« bezeichnet werden. Der (fiktive) Neuwert wird um die technische und getrennt betrachtet, um die wirtschaftliche Abnutzung abgewertet. Die »Technische Abnutzung« beinhaltet im wesentlichen den Verschleiß und die Alterung von Bauteilen. Die »Wirtschaftliche Abnutzung« beinhaltet z.B. eine nicht mehr vorhandene Garantie, geringere Betriebskosten einer aktuell kaufbaren Maschine (z.B. durch einen höheren Wirkungsgrad) oder die evtl. eingeschränkte oder teurere Ersatzteilversorgung.

Wissenschaftliche“ Bewertungsmethoden

Vor 40 Jahren hat Prof. Werner Achenbach eine Arbeit vorgelegt, mit der Absicht die bestehende [Bewertungs-]Problematik zu hinterfragen und zur Diskussion zu stellen. Die Inhalte dieser Arbeit werden inzwischen in der Weiterbildung regelmäßig als wissenschaftlich fundierte Grundlagen dargestellt und offensichtlich nicht mehr hinterfragt. Die dort vorgeschlagene Bewertungsmethode führt insbesondere bei der Bewertung einer größeren Anzahl von gängigen Serienmaschinen mit einer guten Angebotslage und Nachfrage sowie häufig anzutreffendem Alter und Zustand zu realitätsnahen Ergebnissen. Durch diese ‑ teilweise automatisierbaren ‑ Methoden, kann der Bewertungsaufwand deutlich reduziert werden.

Bei teuren langlebigen Einzel- und Sondermaschinen und ‑anlagen führt die direkte Anwendung dieser Bewertungsmethode jedoch regelmäßig zu absurden Ergebnissen.

In der Regel folgt weder die technische noch die wirtschaftliche Abnutzung der allgemein verwendeten arithmetisch-degressiven Berechnung.

Gerechtere Methode

Bei der Bewertung von Einzelmaschinen und -anlagen ist ein höherer Aufwand und ein anderes Vorgehen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch zwingend erforderlich. Der Neuwert darf hier auch bei nur wenige Jahre alten Maschinen und Anlagen nicht über eine (mittlere) Teuerungsrate einer bestimmten Maschinengruppe auf Grundlage des historischen Anschaffungswertes berechnet werden. Es muss individuell festgestellt werden, was zum Bewertungsstichtag eine fabrikneue Maschine/Anlage die die Aufgabe der zu bewertenden Maschine/Anlage erfüllt, kosten würde. Durch technische Weiterentwicklung kann z.B. ein Flaschenfüller mit einer geringeren Anzahl an Füllventilen dieselbe Abfüllleistung, wie die zu bewertende Maschine liefern. Eine Mehrleistung bei identischer Anzahl an Füllventilen ist für viele Betreiber kein Vorteil, da sie die Mehrleistung nicht benötigen oder bei der vorhandenen Anlage nicht nutzen können. Durch Optimierungen in der Konstruktion und der Fertigung kann der Preis der individuell betrachteten Maschine/Anlage geringer sein, als der ehemalige Anschaffungspreis.

Es kann aber auch vorkommen, dass eine Maschine in nahezu gleicher Ausführung noch hergestellt wird oder die alte Ausführung aus Gründen der Fertigungskosten aufgegeben wurde, aber hochwertiger war. Ein einfaches Beispiel ist eine Siloanlage mit entsprechenden Förderanlagen. Ein alter Becherelevator mit geschweißten Bechern ist z.B. hochwertiger, als einer mit tiefgezogenen „Columbus“-Bechern. Die Fördergeschwindigkeit von Schnecken- und Kettenförderern ist evtl. geringer, als bei der moderneren Anlage, was zwar die Investitionskosten senkt, aber materialschonender, energiesparender und haltbarer ist evtl. die ältere Anlage. Die Schalt- und Steueranlage mit Mosaikschaltbild und Schützensteuerung ist deutlich langlebiger und bedienungsfreundlicher als der 6“ Touchscreen einer Kompakt-SPS. Das bedeutet: Der fiktive Neuwert der hier beispielhaft betrachteten Siloanlage ist höher, als der Preis einer am Bewertungsstichtag vom selben Lieferanten angebotenen neuen Anlage.

Wenn man auf Grundlage des Neuwertes einer vergleichbaren Maschine einen fiktiven Neuwert bestimmt, ist dieser fiktive Neuwert die Grundlage für eine wirtschaftliche und davon getrennt betrachtete technische Abnutzung.

Alle Annahmen und ermittelten Daten müssen durch geeignete Methoden verifiziert werden, um ein korrektes Ergebnis zu erhalten. Es ist einer der Hauptschwachpunkte des von Achenbach vorgeschlagenen Verfahrens, dass das errechnete Ergebnis nicht zwingend durch entsprechende Fakten bestätigt werden muss.

Vorgehen

Zunächst vergleicht man die leistungsmäßig gleiche Neumaschine mit der zu bewertenden Maschine. Man fragt sich, warum würde man zum Bewertungsstichtag die vorhandene oder die neu kaufbare Maschine

erwerben, wenn beide fabrikneu (d.h. ohne technischen Verschleiß) verfügbar wären und bewertet kostenmäßig die Unterschiede in Konstruktion und Ausführung. Da es in der Regel die zu bewertende (alte) Maschine nicht fabrikneu zu kaufen gibt, errechnet man auf Grundlage der am Bewertungsstichtag neu kaufbaren Maschine einen fiktiven Neuwert der zu bewertenden Maschine. Die betrieblichen Gegebenheiten sind hierbei zu berücksichtigen.

Die wirtschaftliche Abnutzung drückt aus, was eine alte Maschine wirtschaftlich von der neueren (vergleichbaren!) unterscheidet, wenn beide im identischen fabrikneuen Zustand vorhanden wären. Wenn z.B. der neue Flaschenfüller weniger Füllventile benötigt, sind möglicherweise der Ersatzteilbedarf, Kosten für Umrüstteile, sowie der Aufwand für Reinigung und Sterilisation oder auch Produktverluste beim Produktwechsel geringer; Garantie- und Gewährleistungsansprüche sind bei der alten Maschine nicht mehr vorhanden, die Ersatzteilversorgung ist evtl. nur noch für einen geringeren Zeitraum garantiert, der Support für Firmware/Betriebssysteme könnte früher beendet werden; durch geänderte gesetzliche Bestimmungen könnte die Betriebserlaubnis eingeschränkt sein etc.. In der Regel folgt die wirtschaftliche Abwertung nicht einer mathematischen Formel, sondern wenn eine neue Maschinengeneration vorgestellt wird oder neue (Umwelt-)Auflagen eingeführt werden, wird die Maschine/Anlage in der Regel wirtschaftlich entsprechend abgewertet. Wenn z.B. Umweltauflagen die Betriebskosten dauerhaft erhöhen, aber vorhandene Anlagen einen Bestandsschutz ohne Nachrüstungsverpflichtung haben, kann die wirtschaftliche Abwertung das Vorzeichen wechseln; dieser Fall ist jedoch selten.

Der Bewertungsstichtag scheint manchem nebensächlich zu sein, aber wenn z.B. zum Bewertungsstichtag eine Nachfolgemaschine noch nicht auf dem Markt war, kann das die wirtschaftliche Abnutzung sehr stark verändern.

Die technische Abnutzung wird ebenfalls konkret und nicht durch die Anwendung von Abwertungsformeln bestimmt, d.h. stark vereinfacht dargestellt: Wie viel kostet es den fabrikneuen Zustand herzustellen und wie lang ist die Restnutzungsdauer der dafür auszutauschenden Bauteile?

Verifizierung des Ergebnisses

Grundsätzlich ist es empfehlenswert zunächst mit dem gesunden Menschenverstand und der persönlichen Erfahrung das errechnete Ergebnis zu betrachten. Wenn der gefundene Wert nicht richtig erscheint ist er meistens auch falsch.

Ein brauchbarer Ansatz ist auch, für welchen Preis würde ein vernünftig denkender Mensch seine Maschine in Zahlung geben, um eine leistungsmäßig gleiche, fabrikneue Maschine als Ersatz zu bekommen?

Welche Indikatoren geeignet sind den Wert zu verifizieren muss individuell festgelegt werden. Z.B. kann man prüfen, welchen Deckungsbeitrag die Maschine erwirtschaftet bzw. welchen produktiven Wert sie (innerhalb einer Produktionsanlage) besitzt. Indikatoren zum Wert einer Maschine können auch sein, wieviel der Betreiber jährlich für die Wartung und Instandhaltung ausgibt oder der (Wiederbeschaffungs-)Wert von bevorrateten Ersatzteilen.

Fazit

Der Satz des Viëta wird zur Überprüfung des Ergebnisses einer quadratischen Gleichung genutzt. Wer in der Lage ist nonverbal zu denken, wird mit dem Satz des Viëta quadratische Gleichungen überraschend schnell und korrekt lösen können. Aber auch wenn man nur herumprobiert, kann man mit dem Satz des Viëta das Ergebnis in überschaubarer Zeit ermitteln oder auch eingrenzen.

Bei der Bewertung teurer, umfangreicher, langlebiger Maschinen und Anlagen kann man auch sämtliche Fakten und die verschiedenen Verifizierungsansätze von allen Seiten beleuchten, um dann diese als Ganzes (nonverbal) zu betrachten und sehr schnell zu einem korrekten Ergebnis zusammenzufassen. Künstliche Intelligenz oder eine feststehende Systematik unter der Verwendung von Faktoren wird verschiedene nicht zusammenpassende Einzelergebnisse produzieren; wenn aus diesen Einzelergebnissen z.B. das arithmetische Mittel gebildet wird, führt dies zwangsläufig zu einem Ergebnis, wie wenn man versucht aus fünf vollkommen unterschiedlichen Puzzlebildern ein sinnvolles Bild zusammenzusetzen.

Natürlich lässt sich diese Vorgehensweise auch auf gängige Serienmaschinen erfolgreich anwenden, auch wenn der Aufwand höher ist, wird das Ergebnis fundierter sein.

Die Bestellung einer Bewertung so zu formulieren, dass ein bestmögliches Ergebnis geliefert wird, ist unmöglich, auch wenn dies z.B. von Einkäufern großer Firmen geleugnet wird und diese der Überzeugung sind ein Techniker könne alles eindeutig spezifizieren, ist es erforderlich den Gutachter sorgfältig auszusuchen und den Bewertungszweck eindeutig festzulegen.


Streckblasmaschine

Abb.1 Streckblasmaschine – neue Generation führt zu hoher wirtschaftlicher Abnutzung

Kompressoranlage

Abb. 2 Kompressoranlage – Wirtschaftlichkeit und Technische Abnutzung sind primär wertbestimmend


CO2_Rueckgewinnung

Abb.3 CO2-Rückgewinnungsanlage seit 50 Jahren im produktiven Einsatz


Flaschenfueller

Abb. 4 Füller – hohe wirtschaftliche Abnutzung nach Liquidation des Herstellers


Membranfilteranlage

Abb. 5 Filteranlage – Technische Abnutzung fast linear


Papiermaschine

Abb. 6 Papiermaschine seit über 100 Jahren produktiv in Betrieb

1Zur besseren Lesbarkeit wird auf das Gendern verzichtet, sondern immer die Form gewählt, die häufiger vorkommt.

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LINK zum Vortrag gehalten auf der TES-Tagung im April 2024 [Anm.: Sie verlassen damit die Seite von Raimund Kalinowski]


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