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Kein Selbstverständnis
Hefereinzucht oder Propagation?
Wenn man gefragt wird, ob man eine Hefepropagation oder eine Hefereinzucht betreibt, könnte man antworten, dass man die Propagation bevorzugen würde, aber nur wenn es nachts kälter wäre als draußen.
So wie Aseptik und Hygiene als Pseudonyme gebraucht werden, versteht man im Allgemeinen unter einer Reinzucht etwas, dass aus einer einzelnen Zelle stammt und im Drauflassverfahren vermehrt wurde. Propagation bedeutet eigentlich nur Vermehrung und wird für eine beschleunigte Vermehrung der Hefezellen durch eine starke Zufuhr von (Luft-)Sauerstoff verwendet.
Wann hört eine Reinzucht auf eine Reinzucht zu sein? Einige Brauereien kaufen z.B. einmal im Jahr 0,5l Reinzuchthefe in einer Aluminiumflasche und geben davon regelmäßig die Hälfte in den Betrieb und füllen die fehlende Hälfte mit im Labor sterilisierter Würze auf, sodass sie das ganze Jahr über eine volle Aluminiumflasche "Reinzuchthefe" zur Verfügung haben. Andere Brauereien erzeugen große Mengen an "Reinzuchthefe" und verwenden nur die Hälfte zum Anstellen, die verbliebene Hälfte wird mit "steriler" Betriebswürze aufgefüllt, sodass täglich ein halber Tank "Reinzuchthefe" zur Verfügung steht. Dieses Verfahren kann natürlich auch angepasst werden, sodass im Vermehrungstank immer konstante Verhältnisse herrschen. D.h. Würze und Luft werden im konstanten Verhältnis zum derzeitigen Inhalt des Tanks kontinuierlich zugegeben, die Entnahme erfolgt pro Sud. Die Zellkonzentration, die Konzentration der Nährstoffe und das Redoxpotenzial sind unabhängig vom Füllstand des Tanks immer konstant (Abb.1).
Abb.1 Füllstand eines Vermehrungstanks mit konstanten Vermehrungsbedingungen und diskoninuierlicher Entnahme
Macht so eine Arbeitsweise Sinn? Warum wird eine Reinzucht oder Propagation von einer modernen Brauerei betrieben?
In der Literatur findet man Angaben von erschreckenden Mutationsraten. Sicherlich passt sich die Hefe den Umgebungsbedingungen an, aber so wie am Graf Althanns Reneklode Baum immer Pflaumen dieser Sorte heranreifen und diese sich zwar abhängig vom Standort unterschiedlich entwickeln, so werden doch nicht jedes Jahr durch Mutation einige Prozent der Früchte von anderen Pflaumenarten wie Gelbe Mirabellen oder Hauszwetschgen ersetzt.
Wenn man davon ausgeht, dass bei Pflanzen Neuzüchtungen durch eine rein vegetative Vermehrung extrem lange dauern und deshalb nicht einmal von Optimisten ernsthaft in Erwägung gezogen werden, so sollte man davon ausgehen, dass auch bei Hefezellen eine Züchtung neuer Stämme durch vegetative Vermehrung eher nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Es ist allgemein bekannt, dass die Brauereihefe sich in Bierwürze nicht geschlechtlich vermehrt.
Es gibt Brauereien, die verwenden ihre (obergärige) Betriebshefe seit Jahrzehnten und haben noch nie einen Grund gehabt eine Reinzucht anzusetzen.
Im Illustrierten Brauerei Lexikon [Dr. Max Delbrück, Berlin, Paul Parey, 1910] werden die Anfänge von Ch. Hansen aus dem Jahre 1881 bis hin zum Lindnerschen Tröpfchenverfahren von 1893 beschrieben (Abb.2). Der einzige Zweck für die Reinzucht war, Kulturhefe von Fremdhefen und Bakterien zu trennen, um mit reiner Kulturhefe anstellen zu können. Kunze schreibt in Technologie Brauer und Mälzer [8.Auflage, 1998]: "Die Anstellhefe muß von der Reinzucht abstammen, die im Bier das gewünschte sensorische Profil erreicht." Diese Erkenntnis deckt sich mit der von Ch. Hansen, Lindner und Delbrück und dieser Aussage ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Abb.2 Reinzucht nach Ch. Hansen von 1885
Im allgemeinen Brauereisprachgebrauch wird die klassische Reinzucht auch einfach Reinzucht genannt. Meistens wird hiermit ein Drauflassverfahren bezeichnet, bei dem zunächst sterilisierte Würze und später belüftete Würze aus dem Betrieb verwendet wird. Mit Propagation wird hingegen meist ein weitgehend aerobes Verfahren - zur schnellen Hefevermehrung - bezeichnet. Das sogenannte Assimilationsverfahren suggeriert eine reine Assimilation, aber auch hier findet Gärung im nennenswerten Umfang statt. Die Übergänge sind fließend und nicht eindeutig geregelt.
Bei den meisten aeroben Verfahren wird diskontinuierlich belüftet, meist mit der Begründung die Schaumbildung begrenzen zu wollen oder zu müssen. Empfehlungen, dass man gehopfte Betriebswürze verwenden soll, um ein Bakterienwachstum zu unterdrücken, widersprechen dem Grundgedanken einer Reinzucht, wie er bereits vor über 100 Jahren formuliert wurde. Wenn man neben der gewünschten Kulturhefe gleichzeitig noch andere Mikroorganismen vermehrt, ist der Name Reinzucht hierfür unpassend.
Eine Reinzucht im ursprünglichen Sinne verfolgt demnach nur einen Sinn: Bakterien und andere Fremdkeime von der Brauereihefe zu trennen, indem man die Brauereihefe unter sterilen Bedingungen vermehrt. Wenn eine Brauerei nach dem Stand der Technik betrieben wird, sollte es keine kontaminierte Hefe im Betrieb geben, die durch eine Reinzucht ersetz werden müsste.
Demnach würde nur eine Hefevermehrung (Propagation) benötigt, die immer genügend frische Hefe zum Anstellen zur Verfügung stellt? Bei einem Hefemanegement nach dem Stand der Technik sollte eigentlich immer genügend Hefe mit den gewünschten Eigenschaften zur Verfügung stehen.
Die Hefe passt sich den Umgebungsbedingungen an, d.h. der (auch statische) Druck bei der Gärung, die Temperatur und die Würzeinhaltsstoffe wirken auf die Hefe, wie die Standortbedingungen auf den Pflaumenbaum. Wenn der Pflaumenbaum nicht eingeht oder aufhört Früchte zu tragen, wird er sich der Umgebung anpassen. Wenn man diese Anpassung vermeiden will, sollte man eine angepasste Pflaumensorte aus der Region wählen. Oder den Pflaumenbaum dahin pflanzen, wohin er gehört.
Nun sind Brauer in vieler Hinsicht konservativer als häufig angenommen. Einen gewohnten Hefestamm zu ersetzen oder die angewandte Technik dem verwendeten Hefestamm anzupassen, kommt für viele Brauer nicht in Frage. Wenn man z.B. eine Weizenbierhefe, die es "gewohnt" ist in einem flachen Bottich zu arbeiten, auf einmal behandelt wie eine Lagerbierhefe und dazu zwingt in einem hohen zylindrokonischen Tank zu gären, wird sie sich relativ schnell "anpassen" und entsprechend weniger der gewünschten Gärungsnebenprodukte erzeugen.
Bei den meisten Biersorten wird ein Geschmack angestrebt, bei dem die Gärungsnebenprodukte möglichst nicht herauszuschmecken sind. Die heute übliche Gärungstechnik unterstützt dieses Ziel.
Hiernach wäre eine Reinzucht nur so lange eine Reinzucht, wie die Hefe unter Bedingungen gehalten und vermehrt wird, die sie dazu bringt ihrem ursprünglichen Aromaprofil zu folgen.
D.h. eine Betriebshefe, die dieser Definition entspricht, könnte auch nach 100 Führungen noch als Reinzucht bezeichnet werden?
In der Praxis gibt es sehr wenige Betriebe, deren maschinelle Ausrüstung dem Stand der Technik entspricht. Fremdkeime, wozu auch andere Stämme der Saccharomyces cerevisiae zählen, sind in vielen Betrieben in der Betriebshefe nicht auszuschließen.
Somit gibt es primär 3 verschiedene Motivationen neben dem Hefemanagement der Betriebshefe, auch eine Hefereinzucht zu betreiben:
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Ersatz von kontaminierten Betriebshefen,
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Ersatz von Betriebshefen, deren Gäreigenschaften sich verändert haben
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Sicherheitsaspekte - d.h. eine Art "vorbeugende Instandhaltung" der Hefe
Prinzipiell ist es möglich eine Betriebshefe im Rahmen des Hefemanagements stark zu vermehren. Dies könnte man auch als Propagation bezeichnen.
Nachfolgend wird von der Vermehrung einer (Reinzucht-)Hefe ausgegangen, die noch nicht als Betriebshefe im Einsatz war.
Bei einer Gärführung muss man mit einer Vermehrungsrate von mindestens Faktor 3 ausgehen. D.h. in einer 2-mal geführten Betriebshefe befinden sich nur noch etwa 10% der aus der Reinzucht stammenden Hefezellen. Nach der 4-ten Führung werden statistisch gesehen nur noch 1% der Hefezellen geerntet, die aus der Reinzuchtanlage zugeführt worden waren. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob bereits die Tochterzellen sich den Umgebungsbedingungen angepasst haben oder noch weitgehend über die Aromabildung der Mutterzelle verfügen? Die Beantwortung der Frage, ob sich die ursprünglichen Zellen der Umgebung anpassen oder nicht, ist aus rein statistischer Sicht irrelevant.
Wenn jemand eine Reinzucht z.B. als Flüssigkultur in einer Aluminiumflasche kauft, sollte er sicher sein können, dass alle in dieser Flasche vermehrungsfähigen Mikroorganismen von einer einzigen Zelle abstammen. Wenn er 2 Flaschen kauft stellt sich die Frage, ob in jeder Flasche verschiedene "erste Zellen" sein müssen oder ob in beiden Flaschen es dieselbe Hefezelle sein darf. Bei der Herstellung der Flüssigkultur bedeutet dies deutlich unterschiedliche Kosten, denn im einen Fall wird die Reinzucht einfach auf mehrere Flaschen aufgeteilt und im anderen Fall wurde für jede Flasche eine Zelle vereinzelt und getrennt vermehrt. Bei der Beantwortung der Frage, was der Kunde erwarten darf, wenn er zwei Flaschen bestellt, sind sich die "Hefebanken" uneinig.
Gleichgültig ob der Betrieb eine Reinzucht, eine Propagation oder eine Assimilation betreibt, in allen Fällen sind die zuvor genannten Kriterien an eine Reinzucht zu erfüllen.
Bei den moderneren Verfahren versucht man im Allgemeinen eine hohe Hefekonzentration in möglichst kurzer Zeit zu erhalten. Üblicherweise wird eine bestimmte Menge Reinzuchthefe in einem bestimmten Intervall benötigt. Wenn dieser Intervall kurz ist, ist die Vermehrungsgeschwindigkeit ein wirtschaftlicher Aspekt, falls der Intervall hingegen lang ist, macht die Forderung nach einer schnellen Vermehrung keinen wirtschaftlichen Sinn.
Falls jetzt jemand anführt, dass bei einer schnellen Vermehrung die Reinzuchtqualität besser ist, hat sich der Autor hier nicht verständlich genug ausgedrückt. Verfahren die den Qualitätsanforderungen nicht genügen, sind keine Reinzucht- sondern möglicherweise (ungeeignete) Vermehrungsverfahren!
Welche Zellkonzentration ist denn theoretisch erreichbar? Als Faustformel kann folgende Mengenbilanz gelten: Aus einem Gramm Maltose entstehen unter idealen Bedingungen (d.h. ausreichend sonstige Nährstoffe etc.) 0,63 g Wasser und 100*109 Hefezellen. Wenn man von einer 12°P Bierwürze ausgeht, befinden sich etwa 80mg vergärbare Zucker in einem Milliliter. Aus 80 mg Zucker könnten theoretisch 8 Milliarden Hefezellen entstehen. Es ist unüblich der Reinzucht eine Stickstoffquelle, z.B. in Form von Hefeextrakt zuzugeben. Bereits bei sehr niedrigen Zuckerkonzentrationen ist die Hefe wegen des Crabtree-Effekts nicht in der Lage ausschließlich zu assimilieren, d.h. in allen real in der Brauerei angewandten Reinzucht-Vermehrungsverfahren findet in erheblichem Maße immer eine alkoholische Gärung statt. Auch eine ausreichende Sauerstoffversorgung ist im realen Prozess in einer Brauerei praktisch nicht zu erreichen. Um 80mg Maltose zu assimilieren werden 90mg Sauerstoff oder 450mg Luft benötigt. Da die zugeführte Luft nicht vollständig aufgenommen wird, ist hier ein Wirkungsgrad zu berücksichtigen, sodass im realen Prozess ca. 1g Luft pro Milliliter Würze benötigt würde. Die Geschwindigkeit ließe sich durch die Temperatur beeinflussen und ist bei dieser Betrachtung unwichtig. Bei einer (sehr kleinen) Reinzuchtmenge von 10hl würde demnach eine Luftmenge von 800m³ benötigt werden. Bei einer Luftmenge von 250l/min ergäbe sich ein Belüftungszeitraum von 53 Stunden und eine sehr große Menge Schaum.
Abb. 3 Redoxmessungen
Wegen des Crabtree-Effekts, fehlender Nährstoffe und weil eine ausreichende Sauerstoffversorgung in vorhandenen Anlagen nicht möglich ist, wird keine Brauerei eine echte Assimilation durchführen.
Die Schaumbildung beim Belüften ist primär abhängig von der Würzezusammensetzung, der Luftmenge und der Art der Lufteinbringung. Eine Zentralrohrbelüftung oder eine Aufschichtvorrichtung, ähnlich wie man sie aus dem Sudhaus kennt, helfen die Schaumbildung zu reduzieren. Die eingebrachte Gasmenge und damit das Schäumen könnte erheblich reduziert werden, wenn statt Luft Sauerstoff eingesetzt würde. Die Kosten sind hierfür niedriger, als meist erwartet. Da in Brauereien jedoch fast ausschließlich Druckluft zur Hefebelüftung eingesetzt verwendet wird, soll auf die Verwendung von Sauerstoff hier nicht weiter eingegangen werden. Die Vorteile einer intermittierenden Belüftung statt die identische Gesamtluftmenge kontinuierlich d. h. gleichmäßig verteilt zuzuführen erschließen sich dem Verfasser nicht. Die kontinuierliche Messung des Redoxpotenzials (Abb. 3) bietet sehr große Vorteile bei der Steuerung und Überwachung des Prozesses. Es ist verwunderlich, dass man solche Messungen auch in Großbrauereien nur sehr selten findet.
Gerade im Bereich der Hefereinzucht - Propagation - Assimilation treten einige Anbieter mit einen Selbstverständnis auf, als seien sie vom Hauptberuf Regenmacher. Falls man am Prozess der Hefeherführung etwas verändern will, sollte man seine Wünsche zu einem Lastenheft zusammen fassen und dies bei sämtlichen Betrachtungen nicht aus den Augen verlieren. Die Erhöhung der Prozesssicherheit ist meist ein wichtigerer Punkt als die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit.
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