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Raimund Kalinowski

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Brauchen wir das wirklich?

Wichtigkeit eines Lastenheftes

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Wenn eine Frau ihrem Mann eine einfache, geschlossene Frage stellt, muss sie mit der Antwort auf eine offene Frage rechnen. Dieser Satz ist zwar inhaltlich richtig, aber schwierig direkt zu verstehen. Ein Beispiel macht es deutlicher: Wenn die Frau ihren Mann fragt, ob er den Lottoschein abgegeben hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein schlichtes „Ja“ oder „Nein“ als Antwort bekommt, äußerst unwahrscheinlich. In der Regel wird er einen Vortrag darüber halten, dass er als pflichtbewusster, fleißiger und doppeltbelasteter Ehemann natürlich wie jede Woche neben den Haushalt zu erledigen und den Fahrdienst für die Kinder zu übernehmen, diesen Vorgang zu ihrer vollsten Zufriedenheit durchgeführt hat und dass es überflüssig ist, ihn durch eine solche Frage überprüfen zu wollen, er würde schließlich schon genug arbeiten … . Im Falle, dass er den Lottoschein (noch) nicht abgegeben hat, wird der Vortrag deutlich länger sein und vermutlich noch Angriffe und Sticheleien enthalten. Dieses Beispiel ist rein fiktiv. Mancher mag vermuten, dass der Autor hier die Rollen vertauscht hat, um z.B. keinem Klischee zu folgen oder um einen Diskriminierungsvorwurf im Keime zu ersticken?

Vermutungen sind in einem Lastenheft ebenso unerwünscht, wie die Annahme, dass „Selbstverständlichkeiten“ nicht beschrieben werden müssen. Wenn Eheleute nicht wissen was der Partner erwartet und aneinander vorbei reden, kann man dann erwarten, dass sich Lieferanten und Kunden „blind“ verstehen?

Was ist ein Lastenheft?

Unter dem Stichwort „Lastenheft“ meldet google »ungefähr 244.000 Ergebnisse in 0,4 Sekunden«. Wenn man die dort veröffentlichten Definitionen liest, stellt man fest, dass das Wort Lastenheft in vielen (sehr unterschiedlichen) Bereichen benutzt wird und die allgemeingültige Erläuterung deshalb dem Unwissenden nicht wirklich hilft. So wie ein Algorithmus beim Straßennavigationsgerät etwas genaues, spezielles ausdrückt und eine allgemeingültige Definition des Wortes „Algorythmus“, die auch den „Algorithmus des pflegerischen Schmerzmanagements“ beinhaltet, entsprechend unverständlicher ist, gilt dies auch für den Begriff Lastenheft. Deshalb soll hier das Lastenheft primär als Anfrage zur Angebotsabgabe betrachtet werden. Wobei diese Anfrage die Grundlage für alle weiteren Dokumente, Verhandlungen und Vereinbarungen darstellt. Das heißt, dass Angebot (Pflichtenheft) eines Lieferanten, muss die Antwort auf die Anfrage (Lastenheft) sein. Bei (Auftrags-)Verhandlungen muss der Lieferant erläutern können, wie er mit den in seinem Angebot beschriebenen Bauteilen und Leistungen die Funktionen, die im Lastenheft festgelegt sind, erfüllen wird. Wenn er dies nicht zufriedenstellend (in der Theorie) darlegen kann, macht es keinen Sinn weitere Verhandlungen zu führen und zu hoffen, dass die „Praxis“ die „Theorie“ widerlegen wird. Natürlich sind heute Dinge möglich, die gestern noch unmöglich erschienen, aber Dinge die gestern unmöglich waren, werden auch morgen noch unmöglich sein.

Ein gutes Lastenheft beschreibt primär Funktionen, Rahmenbedingungen und (verfahrenstechnische) Ergebnisse. Da es aber nicht zum Rätselraten beim Lieferanten führen soll, dürfen Maschinen natürlich beim Namen genannt werden und auch Hersteller oder Spezifikationen von Bauteilen sind zulässig, wenn dies vom Kunden zwingend gefordert wird. Selbstverständlich muss dies mit Bedacht geschehen. Das Lastenheft ist immer die Anforderung des Kunden, der deshalb die Kontrolle über das Lastenheft behalten muss. Wünsche zu äußern ist nicht zweckmäßig, da diese immer unverbindlich bleiben und fast immer vom Lieferanten ignoriert werden. Zusätze wie „nach Möglichkeit“ oder „sollte“ verwässern ein Lastenheft und dürfen deshalb nicht verwendet werden.

Das richtige Maß finden

Nach jedem Bauvorhaben ist der Bauherr schlauer und weiß, was er beim nächsten Mal besser machen sollte. Die Lernkurve des Ausführenden hingegen verläuft meist deutlich flacher. Nur Fehler, für die er sich schuldig fühlt, führen hier zu einem Erkenntnisgewinn. Die Aussage: „Woher soll ich denn wissen, was der Auftraggeber will?“ ist hierfür typisch.

Häufig unterstellt der Auftragnehmer dem Kunden, dass dieser eine möglichst billige Lösung anstrebt, da er auch nach dem Preis fragt. Ein Kunde hingegen, will natürlich nicht mehr bezahlen als nötig und sinnvoll ist, aber der Preis einer Sache richtet sich nach ihrem Wert. Wenn der Kunde keinen Wertunterschied feststellen kann, wird er bei offensichtlich gleichwertigen Sachen, die mit dem niedrigeren Preis wählen und bei späteren Reklamationen den Lieferanten zu Recht dafür tadeln, dass er den unterschiedlichen Wert nicht verständlich genug dargestellt hat.

Abb. 1 Korrosion Längsnaht, geschliffenes Getränkeleitungsrohr

Da die Erstellung eines Lastenheftes aufwändig ist, wird gerne auf interne Ausführungsbestimmungen verwiesen, die nicht selten eine Stärke von über 100 Seiten aufweisen. Manche Leser erinnern sich daran, als sie mit 16 Jahren ihr erstes Kleinkraftrad versicherten, fanden sie in den Versicherungsbedingungen auch Sonderbestimmungen zu Milchsammelwagen, die scheinbar nur den Zweck verfolgten, die Bedingungen für das Moped weniger lesenswert und weniger verständlich zu machen.

Richter verneinen inzwischen regelmäßig die Frage, ob es einem Auftragnehmer zuzumuten ist, ein solch umfangreiches Papier durchzuarbeiten und ob dem Auftraggeber tatsächlich jede einzelne Bestimmung entsprechend gleich-wichtig ist. Wenn ein Kunde möchte, dass seine Ausführungsbestimmungen beachtet werden und tatsächlich (rechts-)verbindlich sind, darf er nur die für das konkrete Projekt erforderlichen Bestimmungen an den Lieferanten weitergeben und muss diese einzeln mit dem Lieferanten besprechen. Sinnvollerweise werden diese nicht als Anlage beigelegt, sondern an der richtigen Stelle im Lastenheft genannt und der Lieferant wird aufgefordert sie in das Pflichtenheft (Angebot) zu übernehmen.

Als Ersatz oder Ergänzung zum Lastenheft sind Lieferantenfragebögen abzulehnen; denn die, die nicht individuell für den Empfänger erstellt wurden, enthalten in der Regel viel Unsinn und überflüssige Fragen und wer einen sinnvollen Fragebogen erstellen kann, kennt bereits die Antworten. Fragen sollten immer zielorientiert und nachvollziehbar sein.

Abb. 2 magnetisierbare Längsnaht entspricht nicht den allg. anerk. Regeln der Technik bei austenitischem Edelstahl rostfrei

Wenn die Einkaufsabteilung für anspruchsvolle Dienstleistungen oder komplexe Maschinen und Anlagen von den Technikern ein Lastenheft einfordert und dieses als Spezifikation für die Anfrage und alleinige Grundlage für die Bestellung verwendet, zeugt dies von einem sorglosen Glauben an die Vollständigkeit eines Lasten"; font-size: 12pt; so-language: hi-IN } a:link { so-language: zxx }

Abb. 3 Längsnaht wirkt optisch fehlerfrei, ist aber viel zu breit und der Schweißzusatzwerkstoff ist nicht sachgerecht

Auch ein sehr sorgfältig erstelltes Lastenheft ist selten vollständig oder fehlerfrei. Deshalb ist das Lastenheft ebenso wie das Pflichtenheft (Auftragsbestätigung) kein statisches Dokument, sondern kann und sollte auch nach Abschluss eines Kaufvertrages in Absprache mit dem Lieferanten korrigiert und ggf. ergänzt werden. Wichtig ist hierbei jedoch, dass ausschließlich Fehler und Unklarheiten berichtigt werden. „Verbesserungen“ in der Ausführung führen hingegen leicht ins Chaos und sollten deshalb beim Bau des nächsten „Hauses“ umgesetzt werden und müssen beim begonnenen Projekt nach Abschluss der Detailplanung konsequent unterbleiben.

Abb. 4 Einhaltung keiner techn. Regel

Aus Fehlern lernen?

Wie beim Hausbau versucht der Auftraggeber einmal gemachte Fehler beim nächsten Auftrag zu vermeiden. So beschäftigen sich zum Beispiel Gerichte mit den Fragen: Muss die Längsnaht eines maschinell längsnahtgeschweißten Rohres oder muss ein Rohrformstück (z.B. Rohrbogen) dieselbe Korrosionsbeständigkeit aufweisen wie das Rohrblech oder müssen sie nur den Angaben in den üblichen Beständigkeitslisten entsprechen?

Abb. 5 SMS-Verschraubung in Anlage in Deutschland ohne Absprache ist nicht akzeptabel

Wenn für ein Rohrleitungssystem ausschließlich Bauteile für einen zulässigen Betriebsdruck von z.B. 16 bar verwendet werden, muss dann die gesamte Rohrleitung für diesen Druck geprüft werden oder reicht es aus, den maximal auftretenden Druck beim bestimmungsgemäßen Gebrauch (Nullförderhöhe der Pumpen zuzügl. statische Höhe) mit Sicherheitszuschlag anzunehmen? Gehören Kavitation bis zu einem bestimmten Grad oder Rohrschläge zu den zu erwartenden Betriebsbedingungen und zum bestimmungsgemäßen Gebrauch? Wenn Produkte und Reinigungsmittel genannt werden, darf der Lieferant dann davon ausgehen, dass ausschließlich „reine“ Stoffe verwendet werden oder muss er insbesondere bei der Reinigung auch von Mischzonen und von Reinigungsmittellösungen ausgehen, die z.B. durch Produktreste verunreinigt sind. Muss der Lieferant von üblichen Temperaturen und Wärmeausdehnungen ausgehen oder darf er konstante Temperaturen annehmen?

Verwendung von Floskeln

Je länger man überlegt desto mehr potenzielle Stolperfallen fallen einem ein. Natürlich sollte man nur bei einem Lieferanten bestellen, den man für seriös und kompetent hält. Das Lastenheft regelt deshalb zunächst einmal alle verfahrenstechnischen/produktspezifischen Anforderungen. Eine Liste der Produkte mit den detaillierten Rezepturen ist in der Regel genauso erforderlich, wie eine Beschreibung der Reinigungsprozeduren.

Bei Details, wie z.B. der Ausführung von Schweißnähten verweist man gerne auf Normen und Richtlinien oder man verwendet Technikklauseln. Kreative Lieferanten „verbessern“ die Klauseln manchmal sogar und sichern z.B. zu, dass etwas nach den allerneuesten Erkenntnissen der Technik gebaut werden wird. Wenn die Klausel nicht allgemeingültig und/oder klar definiert ist, ist sie wertlos, gleichgültig wie wertig sie klingt. Wenn nichts definiert ist, darf man üblicherweise die Einhaltung der (allgemein) anerkannten Regeln der Technik, aber nicht den Stand der Technik erwarten. Normen und Richtlinien zu nennen ‑ deren Inhalt man nicht im Detail kennt ‑ ist fahrlässig und schadet meist mehr als es nützt.

Die Präambel die üblicherweise einen Vertrag einleitet, sollte auch einem Lastenheft vorangestellt werden. Hier kann man in allgemeingültiger Sprache grundsätzlich und allgemein erklären, was man erwartet und warum man dieses Projekt durchführen will.

Fazit

Das Lastenheft schreibt man zunächst für sich selber und für den Lieferanten, damit jeder direkt Beteiligte weiß, was zum Zeitpunkt der Anfrage/Vertragsschließung erwartet wurde. Wenn Anwälte das geschriebene Wort vorsätzlich falsch verstehen und Richter entscheiden wie der Gesetzgeber die Worte des Vertrags interpretiert wissen will, dann war das Lastenheft unzureichend formuliert.

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