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Raimund Kalinowski

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Anstreben einer Win-win-Situation

Möglichkeiten des Umgangs mit Streitfällen

Im § 4 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz – KrW-/AbfG) steht geschrieben:
Grundsätze der Kreislaufwirtschaft
(1) Abfälle sind
1. in erster Linie zu vermeiden, insbesondere durch die Verminderung ihrer Menge und Schädlichkeit,
2. in zweiter Linie
a) stofflich zu verwerten oder
b) zur Gewinnung von Energie zu nutzen (energetische Verwertung).

Ähnlich wie bei der Behandlung von Abfällen, kann man bei der Behandlung von Streitfällen vorgehen. Insbesondere der erste Punkt, das heißt Vermeidung oder Verminderung können auch auf Streitfälle übertragen werden.

Was ist ein Streit?
In Wikipedia wird dies sehr schön definiert: „Streit ist eine (nicht notwendigerweise feindselige oder manifeste) Uneinigkeit zwischen mehreren Akteuren oder Parteien. Ungebräuchlich und nur noch in der Hochsprache verwandt sind Hader für einen bitteren, anhaltenden, auch mit Waffen ausgetragenen Streit und Zwietracht für einen die Eintracht sprengenden, eher hassvollen Streit.

In der Umgangssprache wird (nicht durchgehend) zwischen „Streit“ mit definierten Streitgegenständen (wie zum Beispiel dem Rechtsstreit oder Wettstreit) und dem eher vagen „Zank“ unterschieden (daher die unterscheidende Redensart: „Zank und Streit“). Dabei wird der Zank eher negativ, der Streit ambivalent gesehen (vgl. „zänkisch“ gegenüber „streitlustig“).“

Ein feindseliger oder zänkischer Streit lässt sich kaum oder nur durch Unterwerfung vermeiden. Im Geschäftsleben kommt er glücklicherweise eher selten vor und wird deshalb hier auch nicht weiter behandelt. Wenn ein Streit aber nicht feindselig ist, müsste man ihn doch friedlich beilegen können.

Wie entsteht eigentlich ein Streit?
Über ein und dieselbe Sache, muss es mindestens 2 unterschiedliche Meinungen geben und mindestens einer muss bereit sein, sich zu streiten, um seine Meinung durchzusetzen. Prinzipiell ist die Anzahl der streitenden Parteien nicht limitiert, sehr häufig sind mindestens 3 Parteien in einen Streit involviert, wobei sich meist 2 (Interessen-)Lager bilden.

Fast immer entsteht ein Streit, weil Verträge nicht eindeutig formuliert sind und die Parteien den Vertrag unterschiedlich verstehen. Teilweise entsteht jedoch auch ein Streit, weil eine Partei die Erfüllung des Vertrages für unangemessen hält. Dies soll an folgendem tatsächlich geschehenem Beispiel dargestellt werden. Eine Brauerei kauft eine große komplexe Anlage. Im Vertrag steht, dass die gesamten pneumatischen Bauteile von einem einzigen Hersteller kommen müssen; dem Lieferanten wird jedoch freigestellt entweder SMC, Festo oder Bürkert zu verwenden. Dieser Vertragsbestandteil sieht eindeutig aus. Der Auftragnehmer vergibt nun einige Unteraufträge und gibt diesen Vertragsbestandteil wörtlich an seine Unterlieferanten weiter. Wie nicht anders zu erwarten, wurden nun in der Gesamtanlage Pneumatikbauteile von 3 verschiedenen Lieferanten installiert. Als der Bauherr dies feststellt informiert er unverzüglich seinen Vertragspartner und bittet ihn (sehr höflich) dafür zu sorgen, dass der Vertrag eingehalten wird und nur Bauteile von einem einzigen Pneumatiklieferanten installiert werden. Bei diversen Baubesprechungen spricht die Brauerei diesen Punkt an. Dies wird teilweise in den Protokollen festgehalten wie: „Herr Müller weist darauf hin, dass die Pneumatikteile laut Vertrag nur von einem einzigen Lieferanten kommen sollten.“ Man könnte nun glauben, die Brauerei hat alles richtig gemacht. Als nach einigen Wochen die Abnahme ansteht, verweigert die Brauerei die Abnahme mit der Begründung, dass die Pneumatikteile nicht vertragsgemäß geliefert und installiert wurden sind. Da die Brauerei sich zu „freundschaftlich gestritten“ hat und weder eine Mängelrüge erteilt, noch eine Frist zum Austausch der falschen Teile vorgegeben hat, durfte der Lieferant davon ausgehen, dass dies der Brauerei nicht so wichtig wäre. Auch ist der Brauerei kein bezifferbarer Schaden entstanden und der Aufwand für einen Austausch der vertragswidrig installierten Bauteile wäre unverhältnismäßig hoch, im Vergleich zum möglichen Nutzen für die Brauerei.

Was hat die Brauerei nun falsch gemacht?
Im Zivilrecht kann insbesondere unter Vollkaufleuten fast alles vertraglich vereinbart werden, es muss jedoch eindeutig sein, dass beide Parteien dies wirklich so vereinbaren wollten und dass ihnen bestimmte Punkte entsprechend wichtig waren. Seitenlange Allgemeine Geschäftsbedingungen [AGB] erfüllen in der Regel nicht diese Voraussetzung; der Wert der ABG wird fast immer überschätzt. Hätte man in dem Vertrag einen Satz aufgenommen, aus dem klar hervorgeht, dass bei Zuwiderhandlung der Vorgabe, für bestimmte Bereiche immer nur Bauteile von einem einzigen Hersteller zu verwenden, der Lieferant Bauteile die nicht der Vorgabe entsprechen auf seine Kosten unverzüglich austauschen wird, wäre der Streit möglicherweise zu vermeiden gewesen. Bei der Formulierung sollte man so konkret wie möglich sein und sich nicht scheuen Beispiele in den Vertrag zu schreiben. Das Wort „Vorgabe“ könnte man als abstrakte Beschreibung ansehen und später versuchen dieses Wort entsprechend der eigenen Interessenlage zu interpretieren. Wenn man z.B. schreibt: „... Vorgabe entsprechen, d.h. wenn z.B. Pneumatikbauteile inkl. Vorsteuerventile oder Endschalter von mehr als einem einzigen Hersteller eingebaut werden, wird der Lieferant ...“, wird deutlich was gemeint ist. Es geht hierbei weder um Juristendeutsch noch um eine Bewerbung für einen Literaturpreis. Wenn es einem um 12 mm Näherungsinitiatoren geht, sollte man dies schreiben und nicht allgemein von z.B. Endlagenrückmeldungen sprechen. Je allgemeiner einer Formulierung gewählt wird und desto mehr sie eigentlich umfasst, desto leichter kann sie interpretiert und für nichtig erklärt werden.

Die Präambel
Eine Präambel kennt man z.B. von Staatsverträgen her. Sie ist am Anfang eines Vertrages zwischen zwei Wirtschaftsunternehmen zwar eher unüblich, aber bei späteren Streitfällen äußerst hilfreich und sollte deshalb bei keinem Vertrag fehlen! Hier kann die Brauerei z.B. ganz allgemein beschreiben, warum sie eine neue Anlage kauft und welche Funktion sie erwartet. Zu der Erwartung gehört z.B. auch das Zusammenfügen der Einzelteile zu einem ganzen Maschine. Auch grundsätzliche Forderungen, wie möglichst kurze Produktrohrleitungen mit möglichst wenig Rohrbögen und grundsätzliche Anforderungen an die Ergonomie, wie die leichte Erreichbarkeit von manuell zu betätigenden Bauteilen oder auch die Position von Probenahmeventilen. Allgemeine Hinweise wie „hygienisch einwandfreie Ausführung“ sind zwar möglich, besser ist jedoch eine Formulierung wie „... nach dem Stand der Technik unter Berücksichtigung der Richtlinien der EHEDG ...“.Die Präambel hat jedoch nicht den Zweck, den Lieferanten zu übervorteilen. Hier sollen grundsätzliche und für beide Parteien wichtige Punkte aufgelistet werden, damit sie beiden Parteien bewusst sind. Streitfälle entstehen üblicherweise nicht, weil eine Partei bösartig ist sondern weil man verschiedener Meinung über ein und dieselbe Sache ist. Eine Präambel ersetzt nicht einen sauber formulierten Vertrag, sie hilft aber bei der Auslegung von Mehrdeutigkeiten oder scheinbaren Missverständnissen.

Manchmal findet man offensichtliche Fehler in einem Vertrag. Ein häufig anzutreffender Punkt ist das Schüttgewicht von Malz. Dem Brauer ist das Schüttgewicht des Malzes relativ unwichtig, er will eine bestimmte Menge Malz in einer bestimmten Zeit annehmen und einlagern oder schroten. Der Brauer denkt hier in Tonnen pro Stunde oder in Tonnen. Silos fassen jedoch Kubikmeter und Förderer fördern Kubikmeter pro Stunde. Die Größe des Silos fällt deutlich unterschiedlich aus wenn sie für Weizen mit einem Schüttgewicht von 0,75t/m³ anstatt für Malz mit 0,56t/m³ ausgelegt ist. Wenn das Malz aber nun ein Schüttgewicht von 0,61t/m³ hat, wird der Brauer seine Silos entsprechend voller füllen wollen, falls in der Statik dies berücksichtigt wurde und die Silos für die höhere Last zugelassen sind. Beim Schüttgewicht sollte deshalb immer eine Spanne, d.h. das kleinst- und das größtmögliche zu erwartende Schüttgewicht sollte angegeben werden.

Ein weiterer häufiger Streitpunkt ist die durchschnittliche Leistung. Wenn z.B. ein 500hl Tank in einer Stunde entleert wird, leistet die Pumpe durchschnittlich 500hl/h. Da der volle Tank der Pumpe aber einen deutlich höheren Vordruck bietet, kann es sein, dass die Pumpe zunächst 750hl/h fördert, um dann kontinuierlich auf 250hl/h abzufallen. Für zahlreiche Prozesse wäre ein solches Förderverhalten unbrauchbar. Wenn beschrieben wird welche Anforderungen der nachfolgende Prozess hat, ist die Festlegung von Betriebspunkten überflüssig. In realen Prozessen gibt es keine Betriebspunkte. Nur die Uhr die steht, geht auf den Punkt genau zweimal am Tag richtig, alle anderen Uhren, inkl. Cäsiumuhren haben eine Abweichung. Aus diesem Grunde sollten immer alle denkbaren oder konkret zu erwartenden Betriebsbedingungen beschrieben werden.

Ebenfalls ein häufiger Streitpunkt ist die Angabe bzw. Ausführung eines Konuswinkels. In Abb. _winkel ist die Interpretationsmöglichkeit eines 70° Konuswinkels dargestellt.

Häufig hat die Brauerei es mit Geschäftspartnern zu tun, die zwar eine große Erfahrung in Brauereien haben, aber keine Brautechnische Ausbildung haben. In Angeboten werden von diesen Lieferanten teilweise recht abenteuerliche „Fachausdrücke“ verwendet. Ausdrücke wie Hefeküche oder Fermentationsbrühe mögen den Brauer amüsieren, er sollte ihnen aber immer widersprechen und darauf bestehen, dass in einem Vertrag nur korrekte Bezeichnungen stehen. Wenn möglich, sollten die Bezeichnungen so genau wie möglich sein, d.h. z.B. „Malz, dies umfasst Gerstenmalz, Malz aus anderen Getreiden wie Weizen, Roggen oder Dinkel und Spezialmalze“ und nicht „Getreide“ oder sogar „Schwergetreide“. Malz ist weder Getreide noch Schwergetreide und eine Fehllieferung mit nachfolgendem Streit ist vorprogrammiert, wenn nicht die korrekten Ausdrücke verwendet werden. Dies gilt natürlich auch, wenn der Lieferant etwas spezifiziert, das der Brauer nicht versteht. Eine „Labyrinthabdichtung“ klingt sehr technisch, ist für den hygienischen Anlagenbau aber eher ungeeignet. Häufig erklärt der Lieferant dem Brauer, was er unter bestimmten Bauteilen zu verstehen hat, dies wird jedoch fast nie protokolliert und ist später kaum beweisbar. Es ist zwar häufig Vertragsbestandteil geworden, wenn man aber dies nicht beweisen kann, hilft es einem nicht dabei einen Streit zu gewinnen.

Selbst bei einem sehr sorgfältig ausgearbeitetem Vertrag ist ein Streit möglich. Wenn man vorher das gewusst hätte, was man nachher weiss, würde es keine Streitfälle geben. Ein Vertrag muss natürlich noch lesbar und erfüllbar bleiben. Wenn es trotz sorgfältiger Ausarbeitung des Vertrages zu einem Streit kommt, wird man immer versuchen einen Streit intern zu lösen, was erfahrungsgemäß in 80 bis 90% aller Streitfälle auch gelingt. Falls es nicht möglich ist den Streit direkt untereinander beizulegen, ist es hilfreich wenn man bereits im Vertrag festgelegt hat, wie bei einem Streit vorgegangen werden soll. Auch hier gilt es so präzise wie möglich die gewollte Streitschlichtung zu beschreiben. Üblich ist häufig eine Schiedsgutachterabrede, hier überlässt man es einem Sachverständigen über den Streit zu entscheiden. Schiedsgerichtsverfahren werden insbesondere bei internationalen Verträgen oder bei Baustreitigkeiten als Streitschlichtungsverfahren gewählt. Das Güteverfahren ist relativ neu, in Niedersachsen gibt es z.B. derzeit 27 staatlich anerkannte Gütestellen, von denen 26 von Volljuristen, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, besetzt sind.

Wenn es nicht darum geht festzustellen wer Schuld hat sondern um eine Lösung mit der alle Parteien leben können, ist das Güteverfahren vor einer staatlich anerkannten Gütestelle ein sehr schnelles, relativ kostengünstiges Verfahren, das in der rechtlichen Qualität, inklusive der Hemmung der Verjährung und der Vollstreckbarkeit, eine vollwertige Alternative zu einem staatlichen Gericht darstellt. Bereits durch die einseitige Anrufung einer Gütestelle wird die Verjährung gehemmt. Gegenüber einem Schiedsgutachterverfahren hat es den Vorteil, dass nicht ein Dritter entscheidet sondern die Parteien zusammen mit dem allparteilichen Dritten die Lösung erarbeiten. Die Gütestelle wendet bei einer Verhandlung eines Streites zwischen zwei oder mehr Wirtschaftsunternehmen zwar die Grundregeln der Mediation an, sie hat aber mit z.B. einer üblichen Familienmediation sehr wenig gemeinsam. In Verhandlungen mit Wirtschaftsunternehmen geht es nicht selten bis an die Belastungsgrenzen, die Verhandlungen sind zwar friedlich, aber sicher nicht „weichgespült“. Es ist meistens eine knallharte Verhandlung, jedoch nicht mit dem Ziel den Schuldigen zu ermitteln sondern eine Lösung zu erarbeiten, mit der alle Beteiligten irgendwie leben können. Eine win-win-Situation ist zwar erstrebenswert, aber vollständig nur selten zu erreichen. Wenn aber zwei Parteien aus einer Verhandlung kommen und jede davon überzeugt ist, dass ihre Hälfte ein klein wenig größer ist, als die der anderen Partei, dann ist der geschlossene Vergleich ein guter Vergleich. Sollte das Güteverfahren wider Erwarten scheitern, wird die Rechtsposition durch das Güteverfahren nicht verändert.

Die hier dargestellten Fälle und Hinweise dienen nur der Veranschaulichung der Problematik und stellen selbstverständlich keine Rechtsberatung dar, sie sind teilweise sehr vereinfacht dargestellt und können die Beratung durch einen Rechtsanwalt nicht ersetzen.

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© 2004 by Raimund Kalinowski