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Raimund Kalinowski

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Meist unterschätzt

Software definieren und bestellen

Für die Software wird regelmäßig kein Lastenheft erstellt; das Mengengerüst aus dem Angebot ist häufig die Vertragsgrundlage. Vergleichbar ist diese Situation mit der Auswahl eines Speiselokals, auf der Karte ist auch die „Hardware“ mit einigen Ausführungsdetails beschrieben. Aber ob die Salatbeilage aus Fertig-Salaten vom Discounter besteht, wird man auf der Karte vergeblich suchen. Wie im Restaurant gibt es auch Indikatoren beim Anlagenlieferanten. Wie ist er personell besetzt, muss er Leistungen extern zukaufen, um die bestellte Leistung zu erbringen, wie kompetent ist der Ansprechpartner, kann er differenziert und verständlich antworten, muss er im Werk nachfragen, denkt er sich einfach eine Antwort aus, in der Hoffnung, dass man es nicht merkt oder versucht er durch Ausflüchte wie z.B. dem Hinweis auf Betriebsgeheimnisse oder durch Verwirrung - unter Benutzung zahlreicher Fremdworte oder Fachausdrücke - den Kunden „zu befriedigen“? Wenn ein Lieferant einen Sachverhalt nicht so erklären kann, dass sein Kunde ihn versteht, dann hat nicht der Kunde ein Problem. Einen Vertrag zu unterschreiben, obwohl Fragen ungeklärt sind, ist bei Eheschließungen üblich, auch deshalb werden etwa 50 Prozent der Ehen in Deutschland geschieden.

Eine Steuerung wird häufig als Bestandteil einer Gesamtanlage bestellt. Nachfolgend soll dieser Anwendungsfall die Grundlage der Betrachtungen sein. Da man in diesem Fall nur einen Ansprechpartner hat, geht man davon aus, dass auch die Informationen beim Anlagen-Lieferanten verfügbar sind, die man bei einem Lieferanten, der nur für die Steuerung zuständig wäre, definieren würde. D.h. die Anforderung des Kunden (das Lastenheft) unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Gewerken, diese Koordinierungs-Arbeit ist ausschließlich Aufgabe des Anlagen-Lieferanten.

Nicht ausreichend definiert
In Verträgen wird sehr häufig der Hersteller bestimmter Hardwarekomponenten vereinbart. Manchmal werden auch Serien oder sogar Typen von z.B. speicherprogrammierbaren Steuerungen oder Frequenzumformern definiert. Relativ selten werden die Bauteile detailliert inkl. Optionen spezifiziert.

Anforderungen (Lastenheft) und Lösungen (Pflichtenheft) werden hierbei sehr häufig miteinander vermischt. Äußerst selten wird nach den eigenen Bedürfnissen geforscht. Wenn man ein Bauteil spezifiziert hat und sich später herausstellt, dass es nicht die erforderliche Funktion mitbringt, ist man dann dafür verantwortlich, dass die Anlage nicht bestimmungsgemäß funktionieren kann?

Da sich Sachverständige und Gerichte nicht einmal darüber einig sind, wie z.B. der Stand der Technik definiert wird, macht es wenig Sinn solche Klauseln zu verwenden, wenn man nicht spezifiziert, wie sie verstanden werden sollen. Der Verweis auf das Handbuch der Rechtsförmlichkeit (http://hdr.bmj.de/swverz_s.html 4.5 Abs. 252 ff) wäre eine Möglichkeit die Klauseln zu definieren.

Gerade im Steuerungsbereich kommt es häufig zu Streitfällen, denn es ist praktisch unmöglich, die erwartete und bestellte Leistung annähernd vollständig und eindeutig vertraglich zu definieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass man resignieren muss, sondern dass man bekannte Fehlerquellen ausschalten sollte.

Adjektive erschweren im Allgemeinen die Lesbarkeit und sollen in Romanen die Phantasie anregen. Deshalb verwendet man in technischen Beschreibungen und in Nachrichten üblicherweise keine Adjektive. Einige Steuerungsleute haben sehr viel Phantasie und glauben, dass fehlende Adjektive bedeuten, dass man an der „fehlenden“ Stelle ein beliebiges Adjektiv einfügen könnte. Wenn man statt „der blaue Himmel“ nur der Himmel schreiben würde, würde die überwiegende Anzahl der Leser sich einen blauen Himmel, evtl. mit Wolken vorstellen. Statt blau könnte der Himmel natürlich auch grau, pechschwarz, rot oder gar zimtfarben sein.

Wer ein Gemälde mit einer Heidelandschaft, Schafen und Himmel bestellt, erwartet im Allgemeinen nicht, dass er ein schwarz lackiertes Stück Leinwand erhält, das die Landschaft in einer mondlosen, stockfinsteren Nacht zeigt. Wer nun vor Gericht ziehen würde, müsste beweisen, dass der Maler hier nicht nur seine künstlerische Freiheit genutzt hat, sondern dass etwas anderes bestellt und geschuldet war. Auch der Beweis, dass das Ergebnis nicht dem Kaufpreis entspricht, würde schwer zu erbringen sein. Hätte er eine blühende Heidelandschaft mit Schönwetterwolken am hellblauen Himmel bestellt, hätte er zwar keine schwarze Leinwand erhalten, aber ob das Ergebnis ihn befriedigt hätte, wäre bei einem so phantasievollem Künstler weiterhin ungewiss gewesen. Eine mögliche Lösung könnte hier sein, den Arbeitsumfang zu schätzen sowie vergleichbare Bilder zu betrachten und beides als Grundlage der zu erbringenden Leistung mit in den Vertrag aufzunehmen. Wenn dieser Maler nun angibt etwa 300 Stunden für das Bild zu benötigen, müsste man in den Wochen und Tagen vor der Fertigstellung den Fortschritt regelmäßig überprüfen können.

Heidelandschaft

Heidelandschaft?

Wenn jemand bereits während der Vertragsverhandlung ein ungutes Gefühl hat und trotz der Bedenken eine Anlage bestellt, weil sie besonders kostengünstig erscheint, muss sich des Risikos bewusst sein, dass er damit eingeht. Aber auch namhafte Anlagenbauer vergeben Aufträge an externe Lieferanten und nicht alle Mitarbeiter der Projektabwicklung sind gleich qualifiziert und erfahren. Ein sehr kompetenter und erfahrener Vertriebsmitarbeiter repräsentiert die Kompetenz des Unternehmens, aber nicht unbedingt von jedem einzelnen Mitarbeiter.

Überraschende Interpretationsmöglichkeiten
Wie bei jedem Vertrag sollte zunächst in „Prosatext“ allgemein verständlich beschrieben werden, was man mit der Anlage machen möchte. D.h. hier gehören auch die ganz normalen alltäglichen Dinge hinein, die „eigentlich“ jeder weiß.

Wenn der Lieferant einem Referenzanlagen gezeigt hat, deren Steuerungsausführung einem zusagte, sollte man dies so mit in den Vertrag aufnehmen. Aber man sollte sich davor hüten etwas pauschal oder mehr als nötig zu spezifizieren. So bestellte jemand „... eine Sirupausmischanlage inkl. Steuerung wie gemeinsam in Berlin am 1.12.08 besichtigt“. Nun wurde die Sirupausmischanlage geliefert, die mitgelieferte Steuerung gehörte jedoch zu einer Getränkeausmischanlage, denn die gemeinsam besichtigte Anlage stellte Fertiggetränk und nicht Sirup her.

Jemand anderer bestellte eine Volumenstrom-Regelung und bekam ein Ventil, das er auf und zu machen konnte. Der Lieferant erläuterte ihm, dass dies eine Zweipunktregelung sei und er über die Öffnungsdauer die gewünschte Menge „regeln“ könne. Von einer stufenlosen Regelung des Volumenstroms wollte der Lieferant nichts wissen. Außerdem erläuterte der Lieferant, dass es bei einer SPS technisch gar nicht möglich sei stufenlos zu regeln, da das digitalisierte Signal immer in maximal etwa 25 000 Stufen regeln könne. Wenn der Kunde seine Anlage mit einem Volumenstrom zwischen 10 und 20 m³/h mit einer Genauigkeit von 0,2 m³/h betreiben können möchte, muss er nichts über die Regelung schreiben.

Bei einer anderen Anlage wurden aufwendige sekundäre Messeinrichtungen zur Verifizierung der primär installierten Messwertaufnehmer mit dem Lieferanten besprochen und entsprechend installiert. In der Steuerungsanforderung stand sinngemäß „... eine Abweichung vom Sollwert außerhalb der zulässigen Toleranz wird somit von der Steuerung auf jeden Fall erfasst werden ...“. Sogar wenn man die primären Messwertaufnehmer spannungslos schaltete, gab es weder eine Störmeldung noch wurde die Anlage abgeschaltet, sondern sie produzierte weit außerhalb der Spezifikation einfach weiter. Die Anlage hat den Fehler natürlich intern „registriert“, dass mit dieser Erkenntnis eine Aktion erfolgen sollte, hatte dem Programmierer ja niemand gesagt.

In einer anderen Bestellung wurde die Art und der Umfang der Kommentierung der Software ausführlich beschrieben. Als sie geliefert wurde, war die Kommentierung jedoch in englischer Sprache, da dieser international tätige Lieferant dies grundsätzlich so machen würde, damit alle seine Softwareingenieure problemlos weltweit eingesetzt werden könnten. Der deutsche Kunde wollte nicht „einsehen“, dass er bei einem deutschen Lieferanten, der nur 50 Kilometer entfernt seine Konzernzentrale hat, spezifizieren muss, dass die bestellte Dokumentation vollständig in deutscher Sprache sein soll.

In einem anderen Fall gehörte die gelieferte Kommentierung der Software zu einem anderen Projekt. Der Programmierer hatte das Programm eines „ähnlichen“ Projektes als Grundlage genommen und aus Zeitmangel zwar das Programm, aber nicht die Kommentierung angepasst. Da er nicht wusste, was er von dem anderen Programm noch benötigen könnte, löschte er die Programmteile nicht und dem Kunden wurde ein Programm mit über 1 600 auskommentierten Programmzeilen, mit insgesamt vollkommen unpassenden Kommentierungen geliefert. Die Parameterliste war überhaupt nicht angepasst worden und über die Hälfte der Formularfelder gehörten zu Parametern, die es in dieser Anlage gar nicht gab.

Fallstricke der Visualisierung
Ventile mit der Ruhelage offen (federöffnend) führen regelmäßig zum Streit. Der Bediener will in der Regel wissen, ob ein Ventil auf oder zu ist. Ob es dafür von der Steuerung angesteuert werden muss, ist für einige vielleicht interessant, andere verzichten auf diese Information aber gerne. Wenn aber nur die Ansteuerung und nicht die Ventilstellung (gemeint ist hier natürlich das Prozessventil und nicht das Magnetventil im Schaltschrank) angezeigt werden, verwirrt dies nicht nur den Bediener.

Die Visualisierung sollte in der Regel alle (wesentlichen) Informationen des R+I Schemas enthalten. Wenn in der Schaltwarte an der Wand ein ausgedrucktes R+I Schema hängt, weil die Visualisierung nahezu alle nicht-elektrischen Bauteile nicht darstellt, demonstriert dies, dass die Visualisierung ungenügend ist.

Das R+I Schema ist in der Regel die Grundlage der Visualisierung. Es muss deshalb sehr sorgfältig erstellt und geprüft werden. Die Anordnung der Anlagenteile auf dem R+I Schema in der Art, wie sie der Bediener später von der Schaltwarte aus sieht, hat sich bewährt und ist mit Hilfe des Aufstellungsplans eigentlich sehr einfach umzusetzen.

R+IIn einem gut ausgeführten R+I Schema werden die Messwertaufnehmer und die Anzeigen in der Visualisierung festgelegt. In dem Beispiel (Abb. 2) werden die Bauteile Druckaufnehmer (PT = Pressure Transmitter) und Füllstandsgrenzschalter (LS = Level Switch) ebenso wie die Funktion in der Steuerung als Überfüllsicherung (LA+ = Level Alarm (beim Ansprechen)) Leermelder (LI = Level Indicator) Leer-Alarm (LA- = Level Alarm beim (nicht bestimmungsgemäßen) frei werden) und Volumenanzeige (VI = Volume Indicator) dargestellt. D.h. der LA+ und der LA- sind beim bestimmungsgemäßen Betrieb überhaupt nicht zu sehen.

Der LI zeigt an, ob der Tank leer oder teilweise befüllt ist, da der VI im unteren Bereich möglicherweise nicht oder nur sehr ungenau anzeigt. Der Messwert des Druckaufnehmers wird niemals als Druck angezeigt, sondern nur intern genutzt, um den Inhalt des Tanks zu berechnen und in einer im Betrieb gebräuchlichen Volumeneinheit (l, hl oder m³) anzuzeigen. Weder eine Druck- noch eine Füllhöhenanzeige sind hier für den Bediener akzeptabel.

Das beim bestimmungsgemäßen entleeren des Tanks der untere Füllstandsgrenzschalter keinen Alarm auslösen soll, ist eigentlich jedem einleuchtend, da es für den, der die Steuerung programmiert, einen höheren Aufwand bedeutet dies richtig umzusetzen, führt dies regelmäßig zu unnötigen Diskussionen. Die in Abb.2 verwendeten Diagrammsymbole sind nicht normgerecht. Die Norm ist unvollständig und geht auch heute noch davon aus, dass die Symbole per Hand am Brett und nicht mit einem CAD-Programm gezeichnet werden. Nahezu kein Anlagenbauer fertigt R+I Schemata normgerecht an.

Funktionen, die nicht aus dem R+I Schema ersichtlich sind, müssen mit einem anderen Dokument mit entsprechend höherer Priorität festgelegt werden. Im Beispiel der Abb. 2 wäre z.B. statt „VI“ die Bezeichnung „LI“ (Level Indikator) normgerecht. Aber wenn man nicht irgendwo festlegt, dass man Füllstände in Volumen, in der Einheit Liter, ohne Kommastellen, auf 5 l gerundet angezeigt bekommen will, bekommt man den Füllstand möglicherweise in Meter ohne Nachkommastellen, oder in µm mit 3 Nachkommastellen angezeigt. Falls man nicht Einheiten und Nachkommastellen festlegt, muss man evtl. CIP-Soll-Zeiten in Millisekunden eingeben. Diese Beispiele klingen so, als ob sie aus Schilda stammen würden, aber scheinbar ist Schilda in ganz Deutschland.

Unzureichend oder falsch parametrierte Frequenzumformer und PID-Regler sind eher Regel als Ausnahme. Zu einem Standard-Reglerbaustein gehört immer eine Trendanzeige. Unverständliche Fehlermeldungen kennt jeder Microsoftnutzer, aber deshalb entsprechen sie trotzdem nicht „den anerkannten Regeln der Technik“. Die Bedienung muss anwenderorientiert sein, denn die Steuerung bestimmt die Ergonomie der Anlage.

Fazit
Es ist nicht möglich eine Software vollständig zu beschreiben. Deshalb sollte schriftlich zum Ausdruck gebracht werden, wie wichtig einem die Steuerungssoftware ist und welche Funktionen man zwingend erwartet. Höfliche Formulierungen könnten als Kann- oder Wunsch-Anforderung ausgelegt werden. Die Verwendung einer Technikklausel macht Sinn, wenn sie klar definiert ist.

Auf Grundlage des vereinbarten Kaufpreises kann abgeschätzt und somit auch festgelegt werden, zu welchem Zeitpunkt wie viel der Programmierarbeit abgeschlossen sein muss; diese Zwischenziele sollten kontrolliert werden. Die Nicht-Einhaltung von Vereinbarungen muss schmerzhafte Konsequenzen zur Folge haben.

Gesunder Menschenverstand reicht nicht aus, die vereinbarte Leistung muss allgemeinverständlich und möglichst ausführlich beschrieben sein. Falls der Lieferant Fragen nach der Darstellung einer Verriegelung nicht beantworten kann oder sich weigert im R+I Schema unterschiedlich dargestellte Bauteile auch in der Visualisierung zu differenzieren, ist es möglicherweise nicht mehr nötig über die Darstellung von nicht steuerungsrelevanten Bauteilen zu sprechen.

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© 2013 by Raimund Kalinowski