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Raimund Kalinowski

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Benötigt Hefe von High Gravity Bieren besondere Pflege?

Die Hefe ein eigensinniges, kleines Tier?
Brauer auf der ganzen Welt respektieren die Hefe. Die hochwertigsten Anlagen und modernsten Technologien nützen wenig, wenn die Hefe nicht das tut, was der Brauer will.

Die Hefe, als Einzeller mit echtem Zellkern, gehört zwar im Gegensatz zu den Bakterien zu den höheren Lebewesen, steht aber, wenn man die Entwicklung allen Lebens sich anschaut, deutlich unterhalb von Pflanzen und Tieren.

Wenn der Brauer von Hefe spricht, meint er seine Bierhefe Saccharomyces cerevisiae, zu der aber auch Back- und Weinhefen gehören. Hefestämme, auch von anderen Brauereien oder von anderen Biersorten, selbst in der selben Brauerei, bezeichnet der Brauer als „Fremdhefe“.

Technologie in Deutschland
Ein Großteil der Forschung der Brauereitechnologie geschieht in Deutschland. Es ist deshalb sicherlich auch für ausländische Brauer von Interesse zu verstehen, wie der deutsche Brauer sein Bier herstellt, welche Ziele die Forschung in Deutschland hat und welche Forschungsergebnisse für international tätige Brauereien von Nutzen sein können.

Weit über die Hälfte des in Deutschland produzierten, untergärigen Bieres wird mit nur 2 verschiedenen Hefestämmen hergestellt. Obwohl Deutschland eine große Biervielfalt liefert, streben die meisten deutschen Brauer nach einem möglichst neutralen Bier.

Einige Brauer verkaufen Jungbier mit entsprechend hohem Acetaldehyd-Gehalt und entsprechender Werbeunterstützung recht erfolgreich, da es Kunden gibt, die einfach nur einen anderen, als den Einheitsgeschmack wünschen.

Es wäre jedoch falsch zu sagen, dass dieser Geschmack erstrebenswert wäre. Einige Leser haben vielleicht davon gehört, dass eine der weltbekanntesten Brauereien bis noch vor etwa 10 Jahren in 98 % des Bieres Diacethylgehalte von 0,4 mg/l, als Resultat einer bakteriellen Kontamination, aufwies.

Nachdem die Brauerei die Gärung von offenen Holzbottichen auf geschlossene Gärtanks vollzogen hatte, hatte sich auch der Biergeschmack deutlich verändert. Der aktuelle, unveränderte Erfolg dieser Brauerei zeigt jedoch, dass die Masse der Biertrinker nicht unbedingt diesen Hausgeschmack erwartete.

Heute sollte jeder Brauer zunächst in der Lage sein, ein „geschmacksneutrales“ Bier herzustellen und wenn es der Markt wünscht, sollte er auch die Fähigkeit haben, kontrolliert durch Anhebung der Konzentration bestimmter, dann gewünschter, Gärungsnebenprodukte den Geschmack anzupassen.

In der Regel wird jedoch jeder erhöhte Anteil von Gärungsnebenprodukten von der Mehrzahl der Konsumenten als Geschmacksfehler angesehen, d.h. jedes Bier mit besonderem „Aroma“ ist immer für Minderheiten bestimmt.

Große, überregional tätige Brauereien, insbesondere wenn sie in bestimmten Märkten die volumenmäßige Führung übernehmen wollen, müssen auf jeden Fall mindestens ein geschmacksneutrales Bier im Angebot haben. Ob daneben bewusst noch eine Biersorte mit einem „Geschmacksfehler“ produziert werden soll, ist eine sehr ernste Entscheidung für bestimmte, häufig auch zahlungswilligere, Zielgruppen.

Bier in Deutschland wird aus 100% Malz mit einer Stammwürze von meist zwischen 11 und 12°Plato hergestellt. Hieraus ergeben sich Alkoholgehalte um 5 % Vol.. High Gravity Brewing (HGB) wird nach Kenntnis des Verfassers nur von 3 Brauereien in Deutschland angewandt.

Zahlreiche Brauereien vergären unter Druck, insbesondere um die Bildung von unerwünschten Gärungsnebenprodukten zu reduzieren.

Üblicherweise wird die Hefe geerntet und etwa 5 mal wieder verwendet, es gibt aber auch Brauereien, die ausschließlich frisch hergezogene Hefe verwenden und Brauereien, die die (untergärige) Hefe 35 mal und häufiger zum Anstellen benutzen. Die Qualität der Biere ist kein Argument für oder gegen die eine oder andere Vorgehensweise.

Die frisch hergezogene Hefe wird häufig als Reinzucht bezeichnet. Meist wird eine Reinzucht im klassischen Sinne jedoch nur ein bis zweimal im Jahr von der VLB Berlin oder aus Weihenstephan bezogen, wobei aus Weihenstephan teilweise etwas bezogen wird, das zwar als Reinzucht bezeichnet wird, aber auch keine Reinzucht im engeren Sinne ist.

Diese als „Reinzucht bezeichnete Herführung“ beruht darauf, das ein Teil der Reinzucht aufgespart wird und dann wieder zur Vermehrung genutzt wird und dies über Zeiträume hinweg von bis zu einem Jahr. Eine Reinzucht im engeren Sinne basiert immer auf der direkten gradlinigen Vermehrung einer einzelnen Hefezelle. Die Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten der Hefereinzucht bzw. -vermehrung (auch die Hefereinzucht ist eine Hefevermehrung, aber nicht jede Hefevermehrung ist eine Hefereinzucht) würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.

Hefebehandlung, aber wie?
Nachfolgend wird nun kurz dargestellt, wie nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik aus dem subjektiven Standpunkt des Verfassers die Hefe in der Brauerei behandelt werden sollte, damit sie das tut, was wir Brauer wollen.

Die Hefe ist weder Tier noch Pflanze und ihr Stoffwechsel gehorcht sehr einfachen Faktoren:
· Angebot an Nährstoffen und deren Konzentration
· Vorhandensein und Konzentration von Stoffwechselprodukten der Hefe
· Vorhandensein von Zellgiften und deren Konzentration
· Temperatur
· Druck
· Zeit
Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Liste natürlich nicht komplett, Strahlung z.B. hat mit Sicherheit einen Einfluss, ist aus praktischen Überlegungen heraus aber zu vernachlässigen. Ebenso bleiben Faktoren, die der Brauer mit vertretbaren Mitteln nicht beeinflussen kann, hierzu zählt z.B. die Erdbeschleunigung, unberücksichtigt.

Über die Bierqualität kann man lange philosophieren, unzweifelhaft ist sicherlich, dass eine hohe Bierqualität immer eine hohe Gleichmäßigkeit der Qualität einschließt. D.h. alles was getan wird muss reproduzierbar sein.

Fremdkeime jeder Art sind im Normalfall zu vermeiden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Stoffwechselprodukte von Fremdkeimen schädlich für das Bier und/oder die Hefe.

Bei einer heute üblichen Arbeitsweise ist es problemlos möglich, Hefe nahezu unbegrenzt zu führen ohne sie mit Fremdkeimen zu kontaminieren. Durch Mutation der Hefe können (müssen aber nicht) sich das Gärverhalten und insbesondere auch die Eigenschaften zur Bildung von Gärungsnebenprodukten verändern.

Hefeernte:
Damit die Hefe nachrutschen kann, sollte die Hefe sehr langsam (d.h. z.B. in 4 bis 6 h, bei einem Konuswinkel der flacher als 60° ist, eventuell auch wesentlich länger) aus dem zylindrokonischen Gärtank geerntet werden.
· Ein Magnetisch-Induktiver Durchflussmengenmesser in Verbindung mit
· einer Regelklappe und
· einem Sensor der zwischen Bier und Hefe unterscheiden kann, sind allgemein vollkommen ausreichend zur Steuerung der Hefeernte.
Zwangsfördernde Pumpen oder echte Regelventile bieten bei normalen räumlichen Verhältnissen keine Vorteile.

Das Ernten der Hefe beim Schlauchen mit Hilfe einer Jungbierzentrifuge kann ausgezeichnete Ergebnisse bringen. Auch für die Reifungs- und Stabilisierungsphase ist es vorteilhaft, mit konstanten Zellzahlen zu arbeiten. Eine Schädigung von Bier oder Hefe ist bei modernen Zentrifugen nicht zu befürchten. Spätere Einsparungen bei der Bierfiltration, z.B. an Filterhilfsmitteln, rechtfertigen den Einsatz einer Jungbierzentrifuge hingegen meist nur teilweise, dies ist jedoch von vielen Faktoren abhängig und soll hier nicht weiter erörtert werden.

Hefebehandlung/-aufbewahrung:
Selbstverständlich sollte die Hefe nicht unnötig lange aufbewahrt werden.

Der Temperaturunterschied innerhalb der Ernte-Hefe kann 10°C betragen. Es wird empfohlen, mit einem geeigneten Durchlaufkühler die gesamte Hefe während der Ernte auf die Temperatur zu kühlen, die die größte Menge, der kältesten, geernteten Hefe hat.

Eine Sauerstoffaufnahme ist zu vermeiden, da der Sauerstoff den Stoffwechsel der Hefe anregt und bei fehlenden Nährstoffen die Hefe durch „Kannibalisierung“ geschwächt würde. Alleine aus diesem Grunde verbietet sich der Einsatz eines Hefesiebes an dieser Stelle.

Alkohol ist für die Hefe ein Zellgift. Es gibt keinen in Stein gemeißelten Wert, der nicht überschritten werden darf, da der Grenzwert unter anderem auch vom Hefestamm abhängt.

Allgemeingültig sind Alkoholgehalte von unter 5 % Vol. anzustreben. Zum Verdünnen der Hefe kommt idealerweise entalkoholisiertes Bier zum Einsatz. Wenn dieses nicht zur Verfügung steht, können auch Vor- bzw. Nachlauf vom Filter, wenn mikrobiologisch einwandfrei oder entgastes Wasser verwendet werden. Das entalkoholisierte Bier oder entgaste Wasser kann im Hefetank vorgelegt werden, wenn die Erntehefemenge z.B. bei einer Ernte mit Zentrifuge im voraus feststeht, sonst ist ein nachträgliches Auffüllen oder ein kontinuierliches zudosieren empfehlenswert. Je nach zu erwartender Aufbewahrungszeit ist die Temperatur für die Aufbewahrung zu wählen. Je länger desto kälter, wobei auch bei einer langen Aufbewahrungszeit eine Temperatur oberhalb des Gefrierpunktes, der bei 5% Vol. Alkohol ca. minus 2.5°C beträgt, eingestellt wird.

Falls möglich, ist insbesondere bei einer längeren Aufbewahrungszeit (über 48 h) die Versorgung mit Nährstoffen z.B. durch die Zugabe von Würze, anzustreben.

Beim Kühlen bzw. Temperieren sind die Grenzflächentemperaturen zu beachten. Ab einer bestimmten Tankgröße kommen hier sinnvollerweise ausschließlich externe Wärmeübertrager zum Einsatz. Die konstruktive Gestaltung muss natürlich höchsten Ansprüchen an Reinigungs- und Sterilisierbarkeit genügen.

Geeignete (!) Pumpenrührwerke sind fest eingebauten Rührwerken überlegen, obwohl moderne, speziell für den Einsatz in Hefetanks entwickelte Rührwerke bei entsprechender Wartung technisch und mikrobiologisch problemlos zu betreiben sind. Bei vernachlässigter Wartung kann jedoch auch bei diesen Spezialrührwerken die Abdichtung der Wellendurchführung zu einem ernsten Kontaminationsproblem werden.

Beim Aufbewahren der Hefe versucht man den Stoffwechsel zu minimieren.

Der Druck ist gering zu halten.

Eine Entfernung von gelöstem CO2 scheint für die Hefeaufbewahrung ohne Einfluss zu sein.

Vorbereiten zum Anstellen
Nach dem Anstellen soll die Hefe möglichst schnell ihre Arbeit aufnehmen. Dafür muss die Hefe vorbereitet d.h. der Stoffwechsel muss angeregt werden.

Ein kontrolliertes
· Belüften und
· Temperieren,
das zu einem festgelegten Zeitpunkt vor dem Anstellen beginnt, ist sehr wichtig.

Die Regelung der Temperatur sollte bevorzugt nicht durch eine Istwertmessung im Hefe-Tank erfolgen. Durch eine Energiebilanzmessung der zu- und abführenden Ströme des Kälte- oder Heizmediums ist eine präzisere und schnellere Messung und damit auch eine schnellere und damit auch genauere Regelung unter maximaler Produktschonung möglich.


Schlusswort
Die wesentlichen Unterschiede zwischen Bieren in Deutschland und vielen Bieren im Ausland wie z.B. die Verwendung von Rohfrucht, haben, so fern sie nicht extrem betrieben werden, keinen Einfluss auf die Hefebehandlung.

In Deutschland war high gravity brewing jahrelang verboten und ist bei den installierten Kapazitäten für die meisten deutschen Brauer wirtschaftlich nicht interessant und wird deshalb nicht eingesetzt.

Beim high gravity brewing ist jedoch durch den höheren Alkoholgehalt in der Erntehefe ein Zellgift in ernstzunehmender Menge vorhanden, dass jedoch relativ einfach, durch Verdünnung reduziert werden kann.

(veröffentlicht in der Brewing and Beverage Industry China (Getränkeindustrie) am 17. Juli 2004)

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