Bierinnovationen
Politiker
sind relativ leicht zu begeistern, selbst bei kleinen Versprechern
eines Angehörigen einer anderen Partei, verfallen sie häufig
in euphorisches Applaudieren, vermischt mit albernen Lachern.
Selbst kleinste und - bei näherer Betrachtung - vollkommen
unsinnige Ideen, werden mit einem wahnwitzig anmutenden PR-
und Marketingaufwand umgesetzt. Brauereien könnten hier
neidisch werden.
Das
Wort innovativ wird von den für Brauereien tätigen
Werbeagenturen ähnlich stark strapaziert wie der Begriff
„Premium“.
Vermutlich
wird kaum jemand die Biermarke wechseln, weil man den innovativen
Kronenkorken mit garantiert einem Zacken mehr als üblich
auf den Markt bringt. Durch die inflationäre Benutzung
von Reizwörtern wie „neu“ oder „innovativ“
stumpft die Reaktion, des mit Reizen überfluteten, Verbrauchers
immer mehr ab.
Bedeutet
dies, dass der Verbraucher gegenüber allem Neuen nun wirklich
immun ist?
Ganz
im Gegenteil, er ist ständig auf der Suche nach wirklich
Neuem. Wenn aber ein Anbieter ihn mehrfach belogen und betrogen
hat, wird dieser Anbieter es sehr schwer haben, den Verbraucher
von einer wirklichen Innovation zu überzeugen. Vertrauen
aufzubauen sollte ein Hauptziel eines Markenartiklers sein,
denn was drückt den Wert einer Marke besser aus, als das
Vertrauen der Konsumenten in genau diese Marke.
Wenn
Produkte, Marketingaussagen und Verpackungen austauschbar sind,
wird der Kunde sie auch austauschen.
Die
Braukunst orientiert sich - ähnlich wie die gestaltende
Kunst - nicht unbedingt daran was gefällt sondern daran
was möglichst schwierig herzustellen ist. So haben selbst
kleine, regionale Brauereien gemeint, ihr Produkt den überregionalen
Großbrauereien anpassen zu müssen.
Der
Handel fordert das Bier zu einer Dauerkonserve zu machen und
die Brauereien folgen willig.
Die
gängigen Verkostungsschemata bewerten Gärungsnebenprodukte
nahezu ausnahmslos als Geschmacksfehler.
Weine
ohne Gärungsnebenprodukte werden üblicherweise ohne
Markennamen mit Schraubverschluss verkauft oder zu Weinschorle
oder Weinessig verarbeitet.
Der
Weinkenner hingegen genießt voller verzücken hohe
Diacethylgehalte in seinem teuren Burgunder und hat eine blumige
Fachsprache für allerlei Gärungsnebenprodukte entwickelt,
für die ein Braumeister - würde man sie in seinem
Bier finden - fristlos entlassen oder gar gesteinigt werden
würde.
Farbpsychologen
haben erkannt, dass Bieretiketten bevorzugt folgende Farbzusammenstellung
haben sollten:
· weiß für Reinheit
· grün für Natur
· gold oder silber für Wertigkeit.
Deutsche Bieretiketten werden dementsprechend auch meist recht
langweilig gestaltet.
Weizenbier
in B.C. Kanada; Amerikanisiertes Weizenbieretikett
Etikett
wird als „zu deutsch“ empfunden
Old
English Porter - 19°P, 8,5 % Alkohol, 35 EBC Farbeinheiten,
50 EBC Bittereinheiten (!); dunkel-blauviolettes Etikett entspricht
Verbrauchererwartung
Bier
zur deutschen Einheit, Sonderabfüllung für Haus der
131 Biere
Die
verbotene Frucht, Starkbier aus Belgien (Foto: Haus der 131
Biere)
Schwarze
Sau; Bockbieretikett DDR; Pfanne mit direkter Kohleheizung;
Kühlschiff
Schwarze
Sau in der Variante nach der Wiedervereinigung; Herstellung:
„mit heimischer Kohle feuergekocht“, wird werbetechnisch
nicht genutzt
Vor
etwa 20 Jahren war in einer Autozeitung zu lesen, dass zukünftig
alle Autos mehr oder weniger gleich aussehen würden, da
es natürlich nur eine einzige ideale Form geben könne
und sich deshalb die Hersteller dieser einen idealen Form immer
weiter annähern müssten. Man beschrieb die zukünftige
Form, als zwischen Daumen und Zeigefinger leicht zusammengedrücktes,
weichgekochtes Ei.
Offensichtlich
fahren wir heute nicht in „weichgekochten Eiern“
umher. Die erfolgreichsten Automobilhersteller zeigen Individualität.
Sie sind eine Marke und als genau diese Marke, unverwechselbar
erkennbar.
Am
1. Januar 2005 (Quelle: Kraftfahrtbundesamt) waren in Deutschland
45.375.526 PKW zugelassen, davon waren 2,1 % Geländewagen
und davon war am häufigsten der Toyota RAV 4 mit relativ
9,3% am Segment d.h. absolut mit ca. 0,2 % Marktanteil vertreten.
Laut
Barth Hopfenbericht betrug die Bierproduktion in Deutschland
im Jahre 2004 ca. 105.000.000 hl., 0,2 % würden hiervon
etwa 200.000 hl entsprechen. Dies ist eine Nische die groß
genug ist, das auch Großbrauereien darüber nachdenken,
sie zu besetzen.
Für
die meisten deutschen Brauereien ist es erstrebenswert möglichst
helle, neutral schmeckende Biere, mit eher geringer Bittere
zu produzieren. Bei der biologischen Haltbarkeit haben wir inzwischen
schon eine Dauerkonserve, die chemisch-technische Haltbarkeit
ist selbst für Gelegenheitsbiertrinker und unorganisierte
Einzelhändler ausreichend. Die Geschmacksstabilität
ist inzwischen relativ gut, da es ja hier immer weniger zu stabilisieren
gibt. Wobei jedoch das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum im
Verhältnis zur tatsächlichen Geschmackshaltbarkeit
frei erfunden zu sein scheint. Ähnlich wie bei aspartamhaltigen
Erfrischungsgetränken, neigt der Verfasser dazu, die Geschmacksstabilität
so zu betrachten, dass wenn über 90 % der ungeschulten
Testpersonen einen Unterschied zwischen dem frischen und dem
gealterten Produkt eindeutig schmecken können, das Produkt
als geschmacklich nicht mehr akzeptabel eingestuft wird. Bei
aspartamhaltigen Limonaden am Ende der Mindesthaltbarkeit (bei
Lagerung unter Zimmertemperatur) liegt dieser Wert regelmäßig
bei über 99 %.
G.
Sommer hat einmal bei einem Vortrag die Behauptung aufgestellt,
dass ein Großteil der Konsumenten einen Oxidationsgeschmack
nicht von Vollmundigkeit unterscheiden könnten. Er schlug
vor, insbesondere alkoholfreie Biere bewusst mit Luft zu beaufschlagen
und in einer KZE zu oxidieren. Die darauffolgende Diskussion
der Brauereifachleute kam einer Steinigung gleich.
Tropenfeste
Biere haben sehr häufig einen Pasteurisations- und einen
Oxidationsgeschmack. Dieser Geschmack, der einem geschulten
Tester einen Eisschauer über den Rücken laufen lässt,
lässt eine nicht unbedeutende Anzahl von „Bierkennern“
ins schwärmen geraten, sie sprechen von kernigen, echten,
gehaltvollen Bieren.
Der
große Erfolg von Weizenbier ist sicherlich darauf zurück
zuführen, dass Kunden auch einmal einen anderen Geschmack
haben wollen.
Einige
sehr große, ausländische Brauereikonzerne produzieren
ganz bewusst Biere mit einem „Fehlaroma“. Die technische
Ausstattung, Biere z.B. mit hohen Diazethylgehalten zu produzieren,
ist in allen modernen Brauereien vorhanden.
Als
Ende der 70er Jahre die Brauereien die Hauptgärung auf
zylindrokonische Tanks umstellten, enthielten sehr viele Biere
sehr hohe Gehalte an Diazethyl. Dies waren nicht nur kleine,
regionale Brauereien sondern darunter befand sich auch eine
Brauerei, die heute zu den 5 größten Brauereien Deutschlands
zählt. Viele Konsumenten haben diese Geschmacksveränderung
nicht oder zumindest nicht negativ wahrgenommen. Eine große,
international tätige, europäische Brauerei hat bis
in die 90er Jahre hinein ihr „Diazethylbier“ sehr
erfolgreich auch in Deutschland verkauft. Bei Verkostungen gibt
es immer eine Gruppe von mindestens 5 % die diazethlhaltige
Biere bevorzugen. Wobei hier nicht die Rede ist von Diazethylgehalten
knapp oberhalb des Geschmacksschwellenwertes von 0,05...0,12
sondern von deutlich höheren Konzentrationen von 0,30 bis
0,45 ppm. Biere mit Diazethylgehalten von über 0,30 ppm
können mind. 95% einer Gruppe ungeübter Verkoster
von einem diazethylfreien Bier deutlich unterscheiden. Neben
Diazethyl lassen sich auch bestimmte andere „Fehlaromen“
in jeder Brauerei erzeugen. Dimethylsulfid sollte ebenfalls
kein Problem darstellen. Die liefernde Mälzerei wird möglicherweise
etwas verwirrt reagieren, wenn man entsprechendes Malz bestellt.
Häufig wird das vorhandene Malz jedoch schon ausreichen,
wenn man die Verdampfung während des Würzekochens
eliminiert. Auch hier wird man ähnliche statistische Ergebnisse
erhalten, fast alle Konsumenten können den Unterschied
erkennen und eine kleine Gruppe findet diesen Geschmack toll.
Einige
Gärungsnebenprodukte lassen sich in höheren Konzentrationen
nur erzeugen, wenn man die notwendige maschinelle Ausrüstung
hat. Insbesondere Ester, die im Rotwein einen sehr großen
Teil der Qualität ausmachen, lassen sich bei größeren
Drücken - wie sie zwangsläufig in höheren Gärtanks
entstehen - kaum erzeugen. Für einen geringen statischen
Druck benötigt man eine geringere Flüssigkeitssäule
im Tank. Es gibt große Brauereien, die für einige
Biersorten, ganz bewusst aus diesem Grunde, entsprechende Tankgruppen
betreiben.
Malzbier
oder Nährbier hat das Image für Kinder oder werdende
Mütter hergestellt zu werden, so dass im Restaurant zweimal
nachgefragt wird, falls ein erwachsener Mann ein solches Bier
für sich bestellt. Malzbier, insbesondere die Varianten
mit Alkoholgehalten von 1,5 bis 3,0 Prozent werden von einer
großen Gruppe von Personen geschmacklich äußerst
positiv beurteilt, sie würden sich nur nicht trauen, ein
solches Bier zu bestellen. Wenn man ein „Malzbier“
als relativ helle, maximal bernsteinfarbene Variante mit obengenannten
Alkoholgehalt einbrauen würde, müsste man dieses Produkt
nur entsprechend vermarkten, denn schmecken würde es der
Mehrheit der Konsumenten.
Die
Ausstattung und der Marktauftritt müssen zur Zielgruppe
und zum Produkt passen. Je eigenartiger das Bier, desto kleiner
und spezieller darf die Zielgruppe sein. Es gibt bestimmte Teile,
mit denen prahlt man nur, wenn sie besonders groß sind,
der Alkoholgehalt gehört hierzu. Niedrige Alkoholgehalte
darf man ruhig verschweigen; denn wenn man den niedrigen Alkoholgehalt
eines Bieres in den Vordergrund stellt, wird man damit eine
ganz bestimmte Zielgruppe ansprechen. Die Frage ist nur, ob
diese Zielgruppe gewünscht ist?
Andere
Biere, müssen auch ein anderes Etikett haben. Mit dem Etikett
verbindet der Verbraucher eine bestimmte Erwartung. Bei den
meisten Bieren hat er gelernt, dass der Inhalt, unabhängig
von der Ausstattung, sehr ähnlich schmeckt.
Obwohl
die Produktentwicklung im Qualitätsmanagementsystem vieler
Brauereien festgelegt ist, wird externe Hilfe für die Entwicklung
neuer Biere benötigt. Da die Ressourcen der Brauereien,
im Gegensatz zu denen der Politikern, begrenzt sind, sollte
die maximale Wirkung mit dem geringstmöglichen Einsatz
erzielt werden.
So
wie das Medieninteresse an einer Atlantiküberquerung mit
dem Flugzeug seit Charles Lindbergh doch deutlich abgenommen
hat, so sinkt auch das Interesse an noch einem feinherben Premium
Pils.
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