Biermischgetränke
- Ist es innovativ Zitronenlimonade mit Bier zu mischen?
Vor
über 50 Jahren untersuchten Amerikaner das Kaufverhalten
in Selbstbedienungsläden. Ungeprüft wurden die Erkenntnisse
bis in die 90er Jahre hinein von vielen deutschen Einzelhändlern
übernommen. Sie versteckten Produkte des täglichen
Bedarfs, in der Hoffnung, dass man bei der Suche nach dem gewünschten
Produkt zu weiteren Käufen spontan animiert würde.
Das solche Studien nicht auf andere Kulturkreise direkt übertragen
werden können wurde ebenso missachtet, wie der Zeitpunkt
und die Durchführung der Untersuchung.
Als
Dr. Wilhelm Normann 1901 ein Verfahren erfand, Fett zu härten,
d.h. aus Öl ein streichfähiges Produkt herzustellen,
war der Grundstein der Margarineindustrie gelegt. In den Anfängen
war Margarine einfach eine billige Kopie des Originals Butter.
Durch ein geschicktes Marketing, etwa vergleichbar mit der Aussage,
durstige Menschen könnten ihren Durst stillen indem sie
ein Bad nähmen - besser bekannt auch als „Cholesterinlüge“
- hat es die Margarine geschafft in den Kernmarkt des Originals
Butter einzudringen. Insbesondere Varianten, die Versuchen eigenständig
zu sein und die behaupteten Nachteile der Butter auszugleichen,
d.h. sie sind rein pflanzlich, streichfähig, gelb wie Kuhblumen
und natürlich fettreduziert sowie mit Vitaminen und ungesättigten
Fettsäuren gesegnet, verzeichnen einen beachtlichen Erfolg
insbesondere wenn man erwägt, dass das reduzierte Fett
durch Wasser ersetzt wird.
Brauner
Zucker hat gewichtsbezogen weniger Kalorien als weißer
Zucker, ergo ist er gesünder, auch wenn auf die Süßkraft
bezogen die Kalorien vom braunen Zucker gleich hoch oder höher
sind als beim weißen Kristallzucker?
Designte
Lebensmittel haben einen relativ großen Markt erobert,
„Experten“ sagen voraus, dass der Markt dieser „modernen“
Lebensmittel weiter wachsen wird.
Die
Wahrheit im Produkt ist offensichtlich nicht wichtig sondern
das was der Konsument darin sehen und glauben will.
Passt
eine Lüge zum Image von Bier und dem Marketing mit einem
fast 500 Jahre alten Reinheitsgebot? Wenn sie geschickt verpackt
ist, vielleicht.
Aber
vermutlich ist es teurer dem Konsumenten eine nicht vorhandene
Eigenschaft glaubwürdig zu erklären, als ein Produkt
mit eben solchen, für den Kunden erkennbaren Eigenschaften,
herzustellen.
Für
Werbung wird häufig mehr Geld ausgegeben als für Hopfen
und Malz zusammen.
Bei
der Entwicklung eines neuen Produktes ist es nicht nur nicht
nötig sondern teilweise sogar hinderlich, dass die Techniker
im eigenen Hause oder Brauwissenschaftler dieses Bier oder Biermischgetränk
besonders gut bewerten. Es ist viel wichtiger, dass die Zielgruppe
(!) das Bier besonders gut bewertet. Die Zielgruppe sollte sorgfältig
gewählt werden. Die Wettbewerber lesen auch die Nachrichten-
und Wirtschaftsmagazine, so dass die dort als besonders erstrebenswerten
Zielgruppen bereits heiß umworben werden. Die Zielgruppe
muss auch nicht in ein bereits bekanntes Schema passen. Personen,
die Weißwurst mit Pelle essen oder Meerrettich auf ihr
Käsebrötchen schmieren, kann man auch zu einer Gruppe
zusammen fassen. Man muss diese Gruppe auch nicht „finden“
sondern es reicht, wenn man der Gruppe die Möglichkeit
gibt, das entsprechende Produkt zu entdecken.
Das
Marketing hat es viel einfacher einen Unterschied zu erklären,
wenn ihn mehr als 98% der Konsumenten auch wahrnehmen können.
Ende
1988 stellte Mazda den MX5 vor, ein Auto das für 98% der
Autofahrer nicht „passt“, das aber jeder von der
Einheitssuppe, der sonst in dieser Preisklasse angebotenen Autos,
unterscheiden konnte.
Üblicherweise
wird bei Biermischgetränken die Hauptbiersorte mit einer
Limonade etwa im Verhältnis 1:1 gemischt. Die Limonade
besteht neben
· Wasser aus
· einem Süßungsmittel, meist Zucker
· Säure, meist Zitronensäure und
· einem Limonadengrundstoff
Vorherrschend ist hier klarer Limonadengrundstoff mit Zitronenaroma.
Die Verwendung von Colagrundstoff wird bereits als hochinnovativ
vermarktet.
In
jeder Berliner Eckkneipe serviert der Wirt auf Wunsch ein „Gespritzes“,
das heißt, ein Bier entweder mit Fassbrause oder mit Malztrunk
gemischt.
Bis
in die 70iger Jahre hinein gab es eine Brauerei in Berlin, die
sehr erfolgreich Malzbier mit Alkohol herstellte. Offensichtlich
gibt es nur noch sehr wenige Brauereien, die Malzbier für
Erwachsene mit Alkohol produzieren. Wer jedoch einmal ein gutes
Malzbier mit 2 bis 4 % Alkohol probiert, wird von dem Geschmack
äußerst positiv überrascht sein.
Der
Geschmack eines Getränks darf polarisieren. Je nach Zielgruppe
und Vermarktungsstrategie kann es vollkommen ausreichend sein,
wenn z.B. 10% der potentiellen Kunden das Produkt für ausgezeichnet
halten, 40% das Produkt nicht ablehnen, ihm also eher neutral
gegenüber stehen und 50% das Produkt nicht mögen.
Es
ist möglicherweise schwierig ein Produkt herzustellen,
das nahezu 100 % der Befragten nicht ablehnen also neutral oder
positiv gegenüber stehen, es ist aber zweifellos sehr aufwendig,
über eine geeignete Werbung, dem Kunden dieses Produkt
zu verkaufen. Offensichtlich haben nämlich fast alle Brauer
dieses eine Ziel, wodurch diese Produkte untereinander austauschbar
geworden sind.
Bei
der Entwicklung eines neuen Produktes sollte die Marketingabteilung
eingebunden werden. Man hüte sich jedoch davor, die Marketingexperten
nach dem Wunschgeschmack oder Aussehen zu fragen. So wie jeder
Braumeister glauben mag, er verstünde mehr von Werbung
als die hochbezahlten Fachleute der Agenturen, ist es auch umgekehrt.
Wie die Vergangenheit gezeigt hat, liegen die Fachleute zwar
nicht immer richtig, die Laien landen aber äußerst
selten einen wirklichen Volltreffer.
Man
hüte sich also davor den Aussagen von Marketingprofis,
ein Getränk müsse süßer, süffiger
oder öliger werden, um erfolgreich zu sein, zu befolgen.
Vielmehr sollte ein Getränk eine Identität oder eine
Geschichte haben.
Wenn
dem Brauereibesitzer auf dem nächtlichen Heimweg ein fremdländischer
Prophet erscheint, der ihm die Rezeptur eines Bieres mit Ginsengextrakt
ins Ohr flüstert, mag die Geschichte originell bis belustigend
sein, aber sicherlich ist sie nur sehr bedingt glaubwürdig.
Ginseng
ist für europäische Geschmacksknospen doch sehr fremdartig.
Auch eine logische Beziehung zum Bier herzustellen ist bei Ginseng
nicht ganz einfach.
Wie gesagt, ist der Weg auf dem alle laufen mit ziemlicher Sicherheit
nicht der profitabelste. Man muss sich aber auch nicht den steinigsten
oder sumpfigsten Weg aussuchen, um das Ziel besser, d.h. profitabler
zu erreichen.
Vor
einigen Jahren wurde ein Mischgetränk mit Tequilla und
Zitrone vorgestellt. Ein geschmacklich ausgezeichnetes Produkt,
das aber recht unbekannt blieb.
Die
Idee eine Spirituose mit Bier zu mischen ist verlockend. Man
kann so z.B. ein Starkbier herstellen, dass geschmacklich an
ein Pils erinnert oder ein Radler wieder auf den Alkoholgehalt
bringen, den ein normales Vollbier hat.
Wenn
man hingegen ein Bier z.B. mit Ingwer herstellt, fallen einem
schnell Geschichten dazu ein, die so echt klingen, das sie einfach
wahr sein müssen. Ingwer ist eine heimische Pflanze und
war im Mittelalter eine der gebräuchlichsten Würzpflanzen.
Ingwer wurde im Mittelalter selbstverständlich neben allerlei
anderen, auch weniger appetitlichen Zutaten, ins Bier gegeben.
Mit dem Reinheitsgebot von 1516 war damit Schluss, aber Ingwer
ist halt natürlich und passt zum Bier möglicherweise
besser als Zitronenlimonade?
In
Nordamerika wird in Gaststätten Bier mit Tomaten- oder
sogar mit Muschelsaft gemischt. Bei einer statistisch nicht
abgesicherten Umfrage (etwa 200 Befragte Personen) wurde festgestellt,
das etwa 50% der Frauen und etwa 10% der Männer den Geschmack
des Bieres mit Muschelsaft als positiv oder sehr positiv einstuften.
Fast die Hälfte der Männer empfand das Getränk
als untrinkbar.
Wahrlich
ein Getränk das polarisiert. Die „zahmere“
Variante mit Tomatensaft wird hingegen unspektakulär, kaum
anders als Cola mit Altbier, bewertet.
Mit
ein wenig Fantasie ist es möglich, schöne, wahre Geschichten
zum Muschelbier zu (er)finden. Z.B.: Um in den dunklen, kalten
Winternächten der deutschen Küstenregion sich im Winter
nicht nur von Salzheringen ernähren zu müssen, wählte
man diese Möglichkeit, die wertvollen Bestandteile der
Muscheln schonend zu konservieren.
Tomatensaft
mit Bier klingt ziemlich extravagant. Hier wären nun Marketingexperten
gefragt, ob ein solches Produkt den erhofften Profit erzielen
kann.
Wer
sagt eigentlich, dass man Fruchtsaft mit Mineralwasser mischen
sollte, um den Zuckergehalt des Saftes zu reduzieren. Bier eignet
sich ganz hervorragend dazu den Zuckergehalt des Fruchtsaftes
herunterzusetzen. Isotonisches Bier mit 100% Fruchtsaft klingt
richtig wie für Sportler gemacht.
Obwohl
meist die Hauptbiersorte eine Mischungskomponente des Biermischgetränkes
bildet, sollte erwogen werden, hierfür ein eigenes Bier
einzubrauen. Neben den Geschmackseindrücken, die direkt
mit den Rohstoffen und ihrer Verarbeitung im Sudhaus zusammenhängen,
wie z.B. die Bittere und Vollmundigkeit, können auch Gärungsnebenprodukte
gezielt erzeugt werden.
Nachweislich
bevorzugt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung
hohe Diacethylgehalte. Einige Importbiere wurden gerade wegen
dieses Diacethylgehalts gekauft und bei teuren Rotweinen aus
dem Burgund, darf der Diacethylgehalt nicht zu knapp sein. Beim
Wein zählt Diacethyl übrigens nicht zu den Geschmacks-Fehlern
und wird häufig dem „Körper“ zugerechnet.
So
wie Butter selten für sich alleine gegessen wird sondern
von Brötchen und Schinken begleitet sein will, so ist es
wichtig, auch ein Diacethylbier - so wie alle anderen Produkte
auch - möglichst ausgewogen zu kreieren.
Wie
beim Mazda MX 5 oder beim Audi TT kommt es auf die zu einem
ganzen zusammengefügten Details an.
Versuche
mit Extremwerten bringen teilweise überraschende Ergebnisse.
Ein Bier mit über 20°P Stammwürze und über
10% Alkohol sowie mit 55 Bittereinheiten empfand nicht einer
von mehreren Hundert Befragten als zu bitter. Ein Pils hingegen
kann schon mit nur 25 Bittereinheiten als zu bitter empfunden
werden. Es kommt auf das Ganze und nicht auf einzelne Analysendaten
an.
Ein
studierter Brauer, der seine eigene Gasthofbrauerei inklusive
der maschinellen Ausrüstung plante, musste bei der Inbetriebnahme
feststellen, dass seine Würzepfanne zum Kochen der Würze
kaum geeignet war und zum Überkochen neigte. In Ermangelung
der notwendigen Fachkenntnisse und finanziellen Mittel entschied
er, von nun an Bier aus ungekochter, nur auf 100°C erhitzter
Würze herzustellen. Er hatte keine Probleme mehrere tausend
Hektoliter, seines stark nach DMS schmeckenden Bieres, in seiner
Gasthofbrauerei abzusetzen.
Wenn
man nun mit der Produktentwicklung beginnt bzw. die Entwicklung
eines neuen Produktes beauftragt, kommt man irgendwann zu der
Frage, wie dieses Produkt wirtschaftlich hergestellt werden
kann?
Diese
Frage sollte von vornherein die Produktentwicklung begleiten.
Eine kleinere kanadische Brauerei „entwickelte“
ein Produkt zu dessen Herstellung ein nicht unerheblicher Anteil
von Ahornsirup benötigt wurde. Abgesehen davon, dass Ahornsirup
recht teuer ist, wird er auch ausschließlich in haushaltsüblichen
Packungen verkauft. Die technische und wirtschaftliche Umsetzung
war bei der Produktentwicklung nicht berücksichtigt worden,
so dass die Produktion, trotz hoher Kundenakzeptanz, nach nur
wenigen Suden wieder eingestellt bzw. auf Honig umgestellt wurde.
Zur
Produktentwicklung gehört neben einer „Rezeptur“
auch eine Festlegung der analytisch zu bestimmenden Bestandteile
inklusive ihrer Toleranzen. Insbesondere bei der Verwendung
von pflanzlichen Zutaten ist eine Definition der Eigenschaften
für den Einkauf und die Wareneingangskontrolle sehr wichtig.
Es
ist kaum möglich eine verlässliche Aussage über
die notwendigen Investitionen zur Herstellung und Vermarktung
eines neuen Produktes zu machen ohne das dieses Produkt definiert
wurde.
Im
einfachsten Falle wird eine vorhandene Biersorte mit Saft, Wasser,
Zucker, Limonadengrundstoff oder anderen Zutaten gemischt. Je
nach der zu erwarteten Produktionsmenge müssen Annahmestationen,
Tanks, Mischer und CIP Anlagen installiert werden. Es kann auch,
insbesondere in der Anfangsphase, wirtschaftlich sein, das Produkt
im Lohnverfahren herstellen zu lassen. In diesem Falle muss
nur, wenn nicht bereits vorhanden, eine Möglichkeit geschaffen
werden, Tankwagen mit dem eigenen Bier zu befüllen.
Falls
das Bier als angepasster Bestandteil eines neuen Produktes verstanden
wird und eigens dafür eingebraut wird, kann es notwendig
sein die Möglichkeiten zu schaffen, um z.B. Spezialmalze
verarbeiten zu können.
Aber
auch Pasteurkammern, wie sie für die Herstellung von Malzbier
üblich sind, könnten für die Herstellung des
neuen Produktes sinnvoll sein.
Zusammenfassung:
Es gibt weniger langweilige und viel erfolgversprechendere Möglichkeiten
neue Produkte zu kreieren, als seine Hauptbiersorte mit Zitronenlimonade
zu mischen.
Die
Produktentwicklung sollte professionell durchgeführt und
vom Marketing begleitet werden. Wenn das Ziel ist, nicht möglichst
viele Konsumenten zu erreichen sondern möglichst hohe Profite
zu erzielen, ist es hierfür empfehlenswert die ausgetretenen
Wege, auf denen alle gehen, zu verlassen und seinen eigenen
Weg zu finden. Nischen erfolgreich mit Produkten besetzen die
polarisieren, war in anderen Branchen bereits sehr erfolgreich.
Es gibt keine vernünftige Erklärung, warum dies nicht
auch in der Brauindustrie so sein könnte.
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