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Raimund Kalinowski

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Ziel der Gärung: Unterschreitung von Geschmacksschwellenwerten?

Vor etwas mehr als 10 Jahren entschied der Stadtrat einer Kur-Gemeinde in der Eifel, dass es Zeit geworden wäre, ins Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen zu werden. Zu beiden Seiten eines malerischen Bachlaufes wurde der Gemeindeforst verkleinert und die größte Narzissenwiese Europas angelegt.

Etwa zeitgleich freute sich der Braumeister der örtlichen Brauerei über seine neue, sehr leistungsstarke Kühlanlage.

Wenig später starben im Bach die Muscheln. Das Wasser im Bach erwärmte sich und Naturschützer meinten, ein zwar nicht chemisch nachweisbares, doch sicherlich vorhandenes „Narzissengift“, als Schuldigen hierfür ausgemacht zu haben. Die Möglichkeit, als Ursache für das Muschelsterben die Erwärmung zu erwägen, wurde verworfen. Ebenso weigerte man sich in Betracht zu ziehen, dass die Erwärmung des Baches auf den nun fehlenden Schatten der Bäume zurückzuführen sein könnte.

Die Brauerei, die stolz darauf war, seit mehr als 100 Jahren ihr Brauwasser aus diesem Bach bezogen zu haben, stellte auf einmal eine sehr deutliche Geschmacksveränderung in ihrem Bier fest. Der Berater einer international bekannten Brauerschule unterstützte den Braumeister in seiner ausgereiften Meinung, dass die Narzissen das Wasser vergiften würden und die Hefe, vollgepumpt mit der „Narzissendroge“, nun allerlei unberechenbares Zeug anstellen würde. Der vom Berater empfohlene und von der Brauerei angeschaffte Aktivkohlefilter brachte jedoch keine Veränderung. Die Empfehlung eines anderen Beraters, der ihnen als wahren Schuldigen - für einen Diacethylgehalt von über 0,20 ppm - den Braumeister präsentierte, der versäumt hatte, seine Technologie der veränderten Kühlleistung anzupassen, wurde ignoriert und die Brauerei wurde wenig später geschlossen.

Einige Brauer sind fast gelähmt vor Angst, etwas am angewandten Gärverfahren zu ändern. Diese Angst ist international verbreitet und hat nichts mit der Betriebsgröße zu tun. So meint einer der weltgrößten Brauer, dass ohne Späne im Tank nicht das gewünschte Ergebnis im fertigen Bier erreicht werden würde. Hier ist jedoch nicht von Sägespänen - wie sie auch in den 70er Jahren in Deutschland recht populär waren - die Rede, sondern von Brettern, die man auch zur Herstellung von Obstkisten hätte verwenden können.

Ein benachbarter Hektolitermillionär hat kein Verständnis dafür Bretter in den Tank zu werfen, er schwört hingegen auf die Verwendung von Kräusen ohne die man seiner Ansicht nach, kein Spitzenbier herstellen kann.

Als vor 25 Jahren die meisten großen Brauereien von der Bottichgärung auf die Gärung in zylindrokonischen Tanks umstellten, wurde ihnen bewusst, dass die anzuwendende Technologie auch von der maschinellen Einrichtung abhängt, da sich durch die Umstellung der Geometrie der Gärbehältnisse, bei sonst gleicher Technologie, der Geschmack deutlich veränderte.

Damals wurde Schultheiss Bier in Berlin zeitgleich in Kreuzberg, Moabit und Spandau gebraut. Der geübte Biertrinker konnte die Herkunft der Schultheiss-Biere, trotz identischer Rohstoffe und trotz identischer Technologie deutlich am Geschmack unterscheiden.

Ein Braumeister im badischen hatte in seinem Anstellungsvertrag einen Absatz stehen, in dem festgelegt wurde, dass er ein absolutes Spitzenbier zu erzeugen hätte, was dadurch nachgewiesen würde, dass das Bier jedes Jahr den großen Preis der DLG gewinnen würde. Die gesamte Betriebskontrolle der Brauerei richtete sich deshalb in weiten Bereichen am Bewertungsschema der DLG aus. Täglich wurden Verkostungen aller Lagertanks, die innerhalb der kommenden Tage zur Filtration anstanden, durchgeführt. Die Ergebnisse wurden protokolliert und statistisch ausgewertet. Es wurde festgestellt, das Bier aus großen Gärbottichen anders schmeckte als Bier aus kleinen Bottichen, die Flüssigkeitssäule im Bottich war identisch, die spezifische Kühlfläche war im kleinen Bottich jedoch etwa 50% größer. Trotz identischer Lagertanks schmeckte das Bier aus einigen Lagerkellerabteilungen besser, als aus anderen und innerhalb einiger Lagerkellerabteilungen schmeckte das Bier, das aus dem Tank kam, der direkt unter dem Kältemittelverdampfer stand anders, als das Bier aus dem Tank, der weiter entfernt von der Kühlung positioniert war. Die gemessenen Temperaturunterschiede innerhalb einer Lagerkellerabteilung betrugen weniger als 0,2°C. Die Diacethylgehalte aller Biere waren unter 0,06 ppm. Andere Gärungsnebenprodukte wurden analytisch nicht erfasst.

Eine kleine schwäbische Brauerei mit 60 hl Sudgröße und 3 Suden pro Woche kaufte sich 2 Gärtanks, jeweils mit einem Nutzinhalt von 1000 hl. Anfang der Woche wurde aus dem ersten Tank filtriert, danach vom zweiten Tank der erste wieder aufgefüllt und Mitte der Woche wurde der Füllstand des zweiten Tanks mit frischer Würze wieder ergänzt.

Die Tanks wurden nie gereinigt bzw. konnten nicht gereinigt werden, da ein vollständiges Entleeren bei der angewandten Technologie nicht vorgesehen war. Dieses Verfahren erzeugte eine sehr gleichmäßige Bierqualität. Es funktionierte fast ein Jahr lang und dann wurde das Bier gleichmäßig sauer und die Brauerei kurz danach geschlossen.

Diese Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. Die geschilderten Geschmacksunterschiede waren alle signifikant, aber weder gewollt noch steuerbar.

Das Hauptproblem ist meist nicht der andere Geschmack an sich, sondern dass der Kunde diesen anderen Geschmack nicht erwartet.

Einige sehr große Brauereien wird man nie auf den Prämierungslisten der DLG finden. Dies nicht nur, weil sie vielleicht Angst hätten, dass sie eventuell keinen großen Preis erhielten und deshalb nicht daran teilnehmen, sondern weil sie dem sogar sicher sind, da sie ganz bewusst Biere unter einer falschen Sortenbezeichnung vermarkten. So gibt es hierzulande Biere vom Exporttyp, die als Pilsner verkauft werden. Eine sehr bekannte Brauerei lebt vortrefflich davon, filtriertes Jungbier zu verkaufen.

Die Veränderung des Geschmackes einer eingeführten Marke ist prinzipiell immer negativ zu sehen. Somit hüten sich die Verantwortlichen vollkommen zu Recht die angewandte Technologie ohne Not zu verändern. Die Umstellung ganzer Betriebsteile, wie damals, als Brauereien von Gärbottichen auf zylindrokonische Tanks umstellten, bergen ein kaum kalkulierbares Risiko. Nur wirklich starke Marken überstehen eine solch gravierende Geschmacksveränderung.

Wenn möglich, sollten neue Techniken langsam eingeführt werden.

Vor 50 Jahren sah die „normale“ Technologie für ein helles, untergäriges Bier noch so aus: pro Grad Stammwürze, einen Tag Hauptgärung und eine Woche Nachgärung; Anstellen bei 7°C, max. Temperatur 10°C; Schlauchen mit 1 bis 1,5°P vergärbaren Extrakt bei 4°C; Nachgärung (!) zunächst bei 4°C, dann Kühlung möglichst auf minus 1 bis minus 2°C.

Mit Einführung der zylindrokonischen Tanks hat sich die Technologie verändert. Als normal kann heute angesehen werden: Anstelltemperatur 10 bis 18°C, Hauptgärung im selben Temperaturbereich, je höher die Temperatur, desto höher der Druck (Spundungsdruck + statische Höhe der Flüssigkeitssäule im Tank) während der Hauptgärung, Bier möglichst nahe bis zum Endvergärungsgrad vergären, warten bis Diacethylgehalt unterhalb 0,06 ppm, möglichst schnell kühlen, Lagerung zur Stabilisierung bei minus 2 bis 0°C für einige Stunden bis mehrere Tage, keine Nachgärung.

Selbstverständlich gibt es hiervon eine Vielzahl von Varianten und natürlich auch deutliche Abweichungen.

Ein sehr interessantes Verfahren, um die Investitionskosten zu reduzieren, wurde bereits vor 20 Jahren eingeführt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Bei diesem Verfahren sind weder Gär- noch Lagertanks mit einer Kühlung ausgestattet (auch keine Raumkühlung). Die Tanks sind sehr gut wärmegedämmt. Bei etwa 10°C wird angestellt, die Temperatur steigt - wegen der fehlenden Kühlung - während der Hauptgärung auf etwa 23 bis 24°C an. Der Druck wird proportional zur steigenden Temperatur erhöht und nahezu konstant auf Spundungsdruck gehalten. Nach erfolgtem Diacethylabbau wird das endvergorene Bier über einen Biertiefkühler auf minus 2°C gekühlt, die Hefezellzahl wird mit einer Zentrifuge auf 1 (bis 2) Millionen Zellen pro Milliliter eingestellt. Das Bier verbleibt etwa eine Woche im Lagertank, bis es zur Filtration gelangt. Trotz fehlender Kühlung steigt die Temperatur - während der Kaltlagerphase - selten um mehr als 2°C an.

Wenn man nun nicht eine extrem regional orientierte Brauerei betreibt und eine neue Biersorte auf den Markt bringen will, könnten als Hauptkriterien empfohlen werden:
· mindestens 95% der ungeübten Verkoster müssen es von anderen Bieren deutlich unterscheiden können
· mindestens 5% der Verkoster müssen das Bier wirklich mögen

Selbstverständlich muss das Ergebnis dauerhaft reproduzierbar, d.h. der Geschmack und die anderen Qualitätskriterien des neuen Bieres müssen konstant sein.

Die Gärung ist ein Bestandteil des Ganzen. Wichtige Parameter werden selbstverständlich weiterhin im Sudhaus festgelegt.

Eine neue Biersorte könnte z.B. so aussehen:
95 % Pilsner Braumalz, 5 % Karamellmalz;
Stammwürze: 8°P; Es: ˜3,1; Alkohol: 2,5%vol.; Vs: ˜60%; Bitterwert: 18;
Anstellen (mit möglichst geringer Flüssigkeitssäule) bei 18°C, Gärtemperatur konstant halten, wenn Endvergärungsgrad (fast) erreicht ist und Diacethylgehalt noch über 0,15 ppm ist, über Biertiefkühler auf minus 1°C kühlen, etwa eine Woche Lagerzeit. Zielgruppe: Alcopop-Trinker. Das Bier darf deshalb sicherlich nicht Landbier, Hochzeitsbier oder so ähnlich heißen, ein Kunstwort wäre hier möglicherweise angebracht.

Gärungsnebenprodukte können einem Bier einen ganz charakteristischen Geschmack geben, es ist deshalb sträflich, z.B. Roggen zu vermälzen und die damit hergestellte Würze dann geschmacklich mit Weizenbierhefe bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit zu zerstören. Wenn die eigene Betriebshefe nicht mehr die gewünschten Gärungsnebenprodukte erzeugt, muss man sie entweder umerziehen oder aber mit anderen Hefen arbeiten. Hier sollte man auch nicht vor Weinhefen zurück schrecken. Die Auswahl sollte aber nach geschmacklichen und nicht nach werbetechnischen Gesichtspunkten erfolgen. Seit man selbst Sauerkraut mit Champagner verfeinert, macht es keinen Sinn eine Champagnerhefe zu verwenden, die kaum die gewünschten Gärungsnebenprodukte erzeugt.

Identität und Charakter helfen auch einem Bier, erfolgreich zu sein.

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© 2005 by Raimund Kalinowski