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Ziel
der Gärung: Unterschreitung von Geschmacksschwellenwerten?
Vor etwas
mehr als 10 Jahren entschied der Stadtrat einer Kur-Gemeinde
in der Eifel, dass es Zeit geworden wäre, ins Guinnessbuch
der Rekorde aufgenommen zu werden. Zu beiden Seiten eines malerischen
Bachlaufes wurde der Gemeindeforst verkleinert und die größte
Narzissenwiese Europas angelegt.
Etwa zeitgleich
freute sich der Braumeister der örtlichen Brauerei über
seine neue, sehr leistungsstarke Kühlanlage.
Wenig später
starben im Bach die Muscheln. Das Wasser im Bach erwärmte
sich und Naturschützer meinten, ein zwar nicht chemisch
nachweisbares, doch sicherlich vorhandenes „Narzissengift“,
als Schuldigen hierfür ausgemacht zu haben. Die Möglichkeit,
als Ursache für das Muschelsterben die Erwärmung zu
erwägen, wurde verworfen. Ebenso weigerte man sich in Betracht
zu ziehen, dass die Erwärmung des Baches auf den nun fehlenden
Schatten der Bäume zurückzuführen sein könnte.
Die Brauerei,
die stolz darauf war, seit mehr als 100 Jahren ihr Brauwasser
aus diesem Bach bezogen zu haben, stellte auf einmal eine sehr
deutliche Geschmacksveränderung in ihrem Bier fest. Der
Berater einer international bekannten Brauerschule unterstützte
den Braumeister in seiner ausgereiften Meinung, dass die Narzissen
das Wasser vergiften würden und die Hefe, vollgepumpt mit
der „Narzissendroge“, nun allerlei unberechenbares
Zeug anstellen würde. Der vom Berater empfohlene und von
der Brauerei angeschaffte Aktivkohlefilter brachte jedoch keine
Veränderung. Die Empfehlung eines anderen Beraters, der
ihnen als wahren Schuldigen - für einen Diacethylgehalt
von über 0,20 ppm - den Braumeister präsentierte,
der versäumt hatte, seine Technologie der veränderten
Kühlleistung anzupassen, wurde ignoriert und die Brauerei
wurde wenig später geschlossen.
Einige Brauer
sind fast gelähmt vor Angst, etwas am angewandten Gärverfahren
zu ändern. Diese Angst ist international verbreitet und
hat nichts mit der Betriebsgröße zu tun. So meint
einer der weltgrößten Brauer, dass ohne Späne
im Tank nicht das gewünschte Ergebnis im fertigen Bier
erreicht werden würde. Hier ist jedoch nicht von Sägespänen
- wie sie auch in den 70er Jahren in Deutschland recht populär
waren - die Rede, sondern von Brettern, die man auch zur Herstellung
von Obstkisten hätte verwenden können.
Ein benachbarter
Hektolitermillionär hat kein Verständnis dafür
Bretter in den Tank zu werfen, er schwört hingegen auf
die Verwendung von Kräusen ohne die man seiner Ansicht
nach, kein Spitzenbier herstellen kann.
Als vor
25 Jahren die meisten großen Brauereien von der Bottichgärung
auf die Gärung in zylindrokonischen Tanks umstellten, wurde
ihnen bewusst, dass die anzuwendende Technologie auch von der
maschinellen Einrichtung abhängt, da sich durch die Umstellung
der Geometrie der Gärbehältnisse, bei sonst gleicher
Technologie, der Geschmack deutlich veränderte.
Damals wurde
Schultheiss Bier in Berlin zeitgleich in Kreuzberg, Moabit und
Spandau gebraut. Der geübte Biertrinker konnte die Herkunft
der Schultheiss-Biere, trotz identischer Rohstoffe und trotz
identischer Technologie deutlich am Geschmack unterscheiden.
Ein Braumeister
im badischen hatte in seinem Anstellungsvertrag einen Absatz
stehen, in dem festgelegt wurde, dass er ein absolutes Spitzenbier
zu erzeugen hätte, was dadurch nachgewiesen würde,
dass das Bier jedes Jahr den großen Preis der DLG gewinnen
würde. Die gesamte Betriebskontrolle der Brauerei richtete
sich deshalb in weiten Bereichen am Bewertungsschema der DLG
aus. Täglich wurden Verkostungen aller Lagertanks, die
innerhalb der kommenden Tage zur Filtration anstanden, durchgeführt.
Die Ergebnisse wurden protokolliert und statistisch ausgewertet.
Es wurde festgestellt, das Bier aus großen Gärbottichen
anders schmeckte als Bier aus kleinen Bottichen, die Flüssigkeitssäule
im Bottich war identisch, die spezifische Kühlfläche
war im kleinen Bottich jedoch etwa 50% größer. Trotz
identischer Lagertanks schmeckte das Bier aus einigen Lagerkellerabteilungen
besser, als aus anderen und innerhalb einiger Lagerkellerabteilungen
schmeckte das Bier, das aus dem Tank kam, der direkt unter dem
Kältemittelverdampfer stand anders, als das Bier aus dem
Tank, der weiter entfernt von der Kühlung positioniert
war. Die gemessenen Temperaturunterschiede innerhalb einer Lagerkellerabteilung
betrugen weniger als 0,2°C. Die Diacethylgehalte aller Biere
waren unter 0,06 ppm. Andere Gärungsnebenprodukte wurden
analytisch nicht erfasst.
Eine kleine
schwäbische Brauerei mit 60 hl Sudgröße und
3 Suden pro Woche kaufte sich 2 Gärtanks, jeweils mit einem
Nutzinhalt von 1000 hl. Anfang der Woche wurde aus dem ersten
Tank filtriert, danach vom zweiten Tank der erste wieder aufgefüllt
und Mitte der Woche wurde der Füllstand des zweiten Tanks
mit frischer Würze wieder ergänzt.
Die Tanks
wurden nie gereinigt bzw. konnten nicht gereinigt werden, da
ein vollständiges Entleeren bei der angewandten Technologie
nicht vorgesehen war. Dieses Verfahren erzeugte eine sehr gleichmäßige
Bierqualität. Es funktionierte fast ein Jahr lang und dann
wurde das Bier gleichmäßig sauer und die Brauerei
kurz danach geschlossen.
Diese Liste
ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. Die geschilderten
Geschmacksunterschiede waren alle signifikant, aber weder gewollt
noch steuerbar.
Das Hauptproblem
ist meist nicht der andere Geschmack an sich, sondern dass der
Kunde diesen anderen Geschmack nicht erwartet.
Einige sehr
große Brauereien wird man nie auf den Prämierungslisten
der DLG finden. Dies nicht nur, weil sie vielleicht Angst hätten,
dass sie eventuell keinen großen Preis erhielten und deshalb
nicht daran teilnehmen, sondern weil sie dem sogar sicher sind,
da sie ganz bewusst Biere unter einer falschen Sortenbezeichnung
vermarkten. So gibt es hierzulande Biere vom Exporttyp, die
als Pilsner verkauft werden. Eine sehr bekannte Brauerei lebt
vortrefflich davon, filtriertes Jungbier zu verkaufen.
Die Veränderung
des Geschmackes einer eingeführten Marke ist prinzipiell
immer negativ zu sehen. Somit hüten sich die Verantwortlichen
vollkommen zu Recht die angewandte Technologie ohne Not zu verändern.
Die Umstellung ganzer Betriebsteile, wie damals, als Brauereien
von Gärbottichen auf zylindrokonische Tanks umstellten,
bergen ein kaum kalkulierbares Risiko. Nur wirklich starke Marken
überstehen eine solch gravierende Geschmacksveränderung.
Wenn möglich,
sollten neue Techniken langsam eingeführt werden.
Vor 50 Jahren
sah die „normale“ Technologie für ein helles,
untergäriges Bier noch so aus: pro Grad Stammwürze,
einen Tag Hauptgärung und eine Woche Nachgärung; Anstellen
bei 7°C, max. Temperatur 10°C; Schlauchen mit 1 bis
1,5°P vergärbaren Extrakt bei 4°C; Nachgärung
(!) zunächst bei 4°C, dann Kühlung möglichst
auf minus 1 bis minus 2°C.
Mit Einführung
der zylindrokonischen Tanks hat sich die Technologie verändert.
Als normal kann heute angesehen werden: Anstelltemperatur 10
bis 18°C, Hauptgärung im selben Temperaturbereich,
je höher die Temperatur, desto höher der Druck (Spundungsdruck
+ statische Höhe der Flüssigkeitssäule im Tank)
während der Hauptgärung, Bier möglichst nahe
bis zum Endvergärungsgrad vergären, warten bis Diacethylgehalt
unterhalb 0,06 ppm, möglichst schnell kühlen, Lagerung
zur Stabilisierung bei minus 2 bis 0°C für einige Stunden
bis mehrere Tage, keine Nachgärung.
Selbstverständlich
gibt es hiervon eine Vielzahl von Varianten und natürlich
auch deutliche Abweichungen.
Ein sehr
interessantes Verfahren, um die Investitionskosten zu reduzieren,
wurde bereits vor 20 Jahren eingeführt, konnte sich aber
nicht durchsetzen. Bei diesem Verfahren sind weder Gär-
noch Lagertanks mit einer Kühlung ausgestattet (auch keine
Raumkühlung). Die Tanks sind sehr gut wärmegedämmt.
Bei etwa 10°C wird angestellt, die Temperatur steigt - wegen
der fehlenden Kühlung - während der Hauptgärung
auf etwa 23 bis 24°C an. Der Druck wird proportional zur
steigenden Temperatur erhöht und nahezu konstant auf Spundungsdruck
gehalten. Nach erfolgtem Diacethylabbau wird das endvergorene
Bier über einen Biertiefkühler auf minus 2°C gekühlt,
die Hefezellzahl wird mit einer Zentrifuge auf 1 (bis 2) Millionen
Zellen pro Milliliter eingestellt. Das Bier verbleibt etwa eine
Woche im Lagertank, bis es zur Filtration gelangt. Trotz fehlender
Kühlung steigt die Temperatur - während der Kaltlagerphase
- selten um mehr als 2°C an.
Wenn man
nun nicht eine extrem regional orientierte Brauerei betreibt
und eine neue Biersorte auf den Markt bringen will, könnten
als Hauptkriterien empfohlen werden:
· mindestens 95% der ungeübten Verkoster müssen
es von anderen Bieren deutlich unterscheiden können
· mindestens 5% der Verkoster müssen das Bier wirklich
mögen
Selbstverständlich
muss das Ergebnis dauerhaft reproduzierbar, d.h. der Geschmack
und die anderen Qualitätskriterien des neuen Bieres müssen
konstant sein.
Die Gärung
ist ein Bestandteil des Ganzen. Wichtige Parameter werden selbstverständlich
weiterhin im Sudhaus festgelegt.
Eine neue
Biersorte könnte z.B. so aussehen:
95 % Pilsner Braumalz, 5 % Karamellmalz;
Stammwürze: 8°P; Es: ˜3,1; Alkohol: 2,5%vol.;
Vs: ˜60%; Bitterwert: 18;
Anstellen (mit möglichst geringer Flüssigkeitssäule)
bei 18°C, Gärtemperatur konstant halten, wenn Endvergärungsgrad
(fast) erreicht ist und Diacethylgehalt noch über 0,15
ppm ist, über Biertiefkühler auf minus 1°C kühlen,
etwa eine Woche Lagerzeit. Zielgruppe: Alcopop-Trinker. Das
Bier darf deshalb sicherlich nicht Landbier, Hochzeitsbier oder
so ähnlich heißen, ein Kunstwort wäre hier möglicherweise
angebracht.
Gärungsnebenprodukte
können einem Bier einen ganz charakteristischen Geschmack
geben, es ist deshalb sträflich, z.B. Roggen zu vermälzen
und die damit hergestellte Würze dann geschmacklich mit
Weizenbierhefe bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit zu zerstören.
Wenn die eigene Betriebshefe nicht mehr die gewünschten
Gärungsnebenprodukte erzeugt, muss man sie entweder umerziehen
oder aber mit anderen Hefen arbeiten. Hier sollte man auch nicht
vor Weinhefen zurück schrecken. Die Auswahl sollte aber
nach geschmacklichen und nicht nach werbetechnischen Gesichtspunkten
erfolgen. Seit man selbst Sauerkraut mit Champagner verfeinert,
macht es keinen Sinn eine Champagnerhefe zu verwenden, die kaum
die gewünschten Gärungsnebenprodukte erzeugt.
Identität
und Charakter helfen auch einem Bier, erfolgreich zu sein.
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